Mehr Streit um Peter Handke
: Gerechtigkeit für Berlin!

■ Der Autor antwortet und hinterläßt Fragen über Fragen

In einem Interview mit Willi Winkler (Die Zeit vom 2.2.1996) hat Peter Handke den Kritikern seiner Reportage aus Serbien („Gerechtigkeit für Serbien“, Süddeutsche Zeitung vom 6. und 13.1.1996) geantwortet. Dabei geht Handke auch auf den von der taz veröffentlichten Text des Filmemachers Marcel Ophuls ein („Die Wut“, 22.1.).

Der Ton der Auseinandersetzung wird schärfer. Diejenigen, die in den letzten Wochen ihre Bedenken gegen Handkes literarische Friedensmission angemeldet haben, läßt der Autor nun seine Kampfeslust spüren: Marcel Ophuls hatte Handkes Text zwar „infam“ genannt wegen der „ekelerregenden Unterstellung, die Bosnier hätten an der Bäckerei und am Marktplatz ihre eigenen Leute umgebracht“, aber Ophuls war denn doch nicht so weit gegangen, seinen Opponenten gleich ganz zu entmündigen – eine Taktik, auf die sich Handke nun verlegt: „Ophuls macht mir keine Angst, aber mir ist fast angst um ihn. Er ist durchgedreht, vielleicht ist das Altersirrsinn.“ Handke bekennt, er „schätze“ Ophuls' Film über die Kollaboration in Frankreich („Le chagrin et la pitié“) „hoch“, um dann die von der taz gedruckte Antwort des angeblich geschätzten Kollegen auf seine Reportage eine „triefende Sentimentalitätsorgie auf die heldenhaften Journalisten“ zu nennen.

Nachdem am letzten Wochenende bereits die Süddeutsche Zeitung (27.1.) mit dem Faksimile eines Fax aufwarten konnte, in dem Ophuls in der ihm eigenen, aufbrausenden Art seinen Text zurückgezogen hatte („Ich scheisse auf die Süddeutsche Zeitung mit oder ohne schnulziger Handke Prosa.

Noch heute abend werde ich der FAZ oder der taz meinen Text faxen ...“), plaudert nun Handke weitere Ophuls-Faxe aus, um den „Altersirrsinn“ seines Gegners zu belegen: „Er [Marcel Ophuls, d. Red.] hat Jeanne Moreau eine Art offenes Fax geschrieben, das er gleichzeitig an die Filmzeitschrift positif und, ich glaube, an die FAZ geschickt hat. Als er den Artikel für die taz schrieb, hatte er Emir Kusturicas Film ,Underground‘ noch nicht gesehen, es inzwischen aber nachgeholt: ,Der Film‘, schreibt er, ,ist stupid, brutal, fürchterlich prätentiös und künstlerisch null. Was den Artikel ihres Kumpels (das bin ich) betrifft, chère Jeanne, so ist der verächtlich.‘“ Interessant zu verfolgen, wie der Medienkritiker Handke zu den denunziatorischen Mitteln der Boulevardpresse greift, wenn es hart auf hart kommt.

Peter Handke erklärt, seine Reportage sei „Wort für Wort“ ein „Friedenstext“, und wer das nicht erkenne, „kann nicht lesen“: „Als im Spiegel, in der FAZ und in der taz diese drei Geschichten gegen mich erschienen, dachte ich: Wie kann man das nur so lesen? Und dann habe ich mir überlegt, ich muß das vorlesen. Zum ersten Mal seit zwanzig Jahren wollte ich wieder öffentlich lesen.“

Keine schlechte Idee, eine solche Alphabetisierungstour, auf der der Meister selbst lehrt, wie man seinen Text richtig zu betonen und zu verstehen habe, zumal ihn die geplante Lesereise so richtig kinderkreuzzugsmäßig „nach Deutschland und ein, zwei österreichischen Städten weitergeht nach Ljubljana, Zagreb, Belgrad, vielleicht nach Sarajevo“ führen soll.

Da merkt man auf! Nun also doch: Ab nach Sarajevo? Ach was, es wird ja doch wieder nichts draus, denn ein paar Absätze weiter heißt es: „Nie hat es mich gezogen, nach Bosnien zu gehen. Es ging mir nicht darum, die zerstörten Orte zu sehen. In mir ist eine Grundscheu, das nachzumachen, was ohnedies durch die Fernsehbilder schon übermittelt ist. So wie es mich auch nie gezogen hat, nach dem Fall der Mauer nach Berlin zu gehen. Das ist nicht mein Fall.“

Sarajevo ist nicht Peter Handkes Fall. Das ist völlig in Ordnung. Es waren eh schon genug Schriftsteller da unten, und die nicht gerade mit leichter Unterhaltung verwöhnten Menschen dort sind wahrscheinlich ganz froh, daß sie nach Susan Sontags Beckett-Inszenierung nun nicht auch noch eine Handke-Lesung mit dem Titel „Gerechtigkeit für Serbien“ über sich ergehen lassen müssen.

Aber die Sache mit Berlin wurmt einen als hier Ansässigen natürlich schon. Wenn dem Friedenstexter Nummer eins deutscher Zunge die Verbindung Sarajevo-Berlin so übergangslos sich einstellt, dann ist hier die Stadtwerbung, ach was, der neue Kultursenator Peter Radunski persönlich gefragt: Peter Handke gehört sofort hochoffiziell zu einer ersten öffentlichen Lesung seines strittigen Textes in die deutsche Hauptstadt eingeladen. Gerechtigkeit für Berlin! Die Stadt erhielte so – wie bereits Serbien zuvor – die Chance, sich aus dem unguten Assoziationshof „Bosnien – Bürgerkrieg – zerstörte Orte“ zu lösen.

Und Peter Handke hätte die Gelegenheit, uns mit seiner bekannt sanften Stimme doch noch von der tieferen Friedfertig- und Gerechtigkeit seiner Sendung zu überzeugen. Jörg Lau