Die Fälle von Mißhandlung ausländischer Mitbürger in Polizeigewahrsam häufen sich. Pünktlich zur heutigen Konferenz der Innenminister in Hiltrup hat amnesty international (ai) seine Vorwürfe gegen deutsche Polizisten erneuert. Von Vera Gaserow

Rassistisch motivierte Staatsgewalt

Ein zeitliches Zusammentreffen wie von heimlicher Regie inszeniert. Zwei Studien werden heute der Öffentlichkeit vorgestellt – zu ein und demselben Problem. Und doch könnten die Betrachtungsweisen kaum unterschiedlicher sein. Die Polizeiführungsakademie in Hiltrup legt heute den monatelang unter Verschluß gehaltenen Abschlußbericht ihres Forschungsprojekts „Polizei und Fremde“ vor (die taz dokumentierte).

Am selben Tag erhebt amnesty international erneut schwere Vorwürfe gegen die deutsche Polizei. In einem heute veröffentlichten Dossier beschuldigt die Londoner Zentrale der Gefangenenhilfsorganisation die bundesdeutschen Sicherheitsbehörden, Ausländer „grausam, unmenschlich oder herabsetzend“ behandelt und bestraft zu haben. In einem Fall zumindest habe die Mißhandlung an Folter herangereicht, „in etlichen Fällen“, so das Fazit des ai-Berichts, „hat es den Anschein, daß die Mißhandlungen rassistisch motiviert waren“.

Im Mai 1995 hatte amnesty erstmals polizeiliche Übergriffe auf Ausländer in Deutschland zum Thema einer international beachteten Untersuchung gemacht. Die Mißhandlung von Ausländern und ethnischen Minderheiten in deutschem Polizeigewahrsam habe eine solche Häufigkeit erreicht, daß nicht mehr von isolierten Vorfällen, sondern von einem klaren Verhaltensmuster gesprochen werden müsse, hatte ai damals konstatiert – und war dafür lautstark gescholten worden. Berlins Innensenator warf den amnesty- Rechercheuren „Einseitigkeit“ vor und stellte öffentlich die Seriosität der größten Menschenrechtsorganisation in Frage. Auch die Gewerkschaft der Polizei protestierte erregt.

Nicht einmal ein Jahr später konfrontiert ai die deutschen Behörden nun mit neuen Vorwürfen zum alten Problem. Anhand einer Reihe von Fällen aus dem Jahr 1995 dokumentiert die Organisation, daß Polizei und Justiz seit Erscheinen des ersten ai-Berichts offenbar nichts gelernt hat.

Da ist zum Beispiel der Fall des türkischstämmigen Binyamin Safak aus Frankurt (Main). Weil er sein Auto nicht vorschriftsmäßig geparkt hatte, geriet er mit einer Polizeistreife aneinander, die ihn mit rassistischen Bemerkungen zum Wegfahren aufforderten. Als Safak sich gegen die Beleidigungen verwahrte, stießen die Beamten ihn zu Boden, drehten ihm die Arme auf den Rücken und brachten ihn auf die Polizeiwache. Die verließ er nach mehr als einer Stunde blutüberströmt und mit von der Frankfurter Uni-Klinik attestierten Platzwunden und Prellungen am ganzen Körper.

Elf Tage lang, so dokumentiert ai einen anderen Fall, lag der afghanische Asylbewerber Noorol Hak Hakimi im Krankenhaus, nachdem eine Bande von maskierten und schwarzuniformierten Männern sein Zimmer in einer Leipziger Asylunterkunft gestürmt hatte. Was sich erst später herausstellte: Das Überfallkommando bestand nicht aus Neonazis, sondern aus sächsischen Polizisten. Die hatten sich, so gab Leipzigs Polizeiführung hinterher zu, bei der Suche nach einem vermeintlichen Straftäter im Zimmer „geirrt“.

Als Mißhandlung kritisiert ai auch die zwangsweise Verabreichung von Brechmitteln an afrikanische Asylbewerber, wie sie die Bremer Polizei routinemäßig verordnet. Besorgt zeigt sich die Gefangenenhilfsorganisation auch über Vorgänge im nordrhein-westfälischen Abschiebegefängnis Büren. Dort wurde etwa der Kosovo- Albaner Samir Z. zur „Beruhigung“ in eine Zelle verfrachtet, wo man ihm Arme und Beine auf dem Rücken zusammenband. Der Bürener Anstaltsleiter räumte diese Art der Fesselung ein, sie diene aber dem „Selbstschutz der Gefangenen“. Inzwischen werde sie nicht mehr angewandt.

In bezug auf die Konsequenzen, die die Veröffentlichung der neuerlichen Vorwürfe haben könnte, äußert sich der ai-Bericht indirekt skeptisch. In den meisten der Fälle, die amnesty 1995 aufgegriffen hatte, wurden die Strafanzeigen der betroffenen Ausländer mittlerweile eingestellt, oder sie endeten mit einem Freispruch für die beschuldigten Polizisten.

Was die Gefangenenhilfsorganisation für den Zeitraum des vergangenen Jahres aus dem deutschem Polizeialltag dokumentiert hat, liefert genau den Blick auf das Problem, der in der Studie der Polizeiführungsakademie Hiltrup gänzlich fehlt: die Sicht der betroffenen AusländerInnen. Sicher, auch die Polizeistudie, im Oktober 1994 nach der Diskussion über Polizeiübergriffe auf Ausländer von der Innenministerkonferenz in Auftrag gegeben, beschreibt die Situation von Betroffenen. Doch diese Betroffenen tragen Uniform. Schon der Titel der Forschungsarbeit ist Programm. Er zeigt, wie ein öffentliches Problem zu einer Selbstbeschau der Polizei mutieren kann: Nicht „Ursachen und Ausmaß möglicher Fremdenfeindlichkeit in der Polizei“ haben die Autoren ihre Arbeit überschrieben, sondern „Belastungen und Gefährdungen von Polizeibeamtinnen und -beamten im alltäglichen Umgang mit Fremden“.

Auch die Studie der Hiltruper Polizeiführungsakadamie leugnet nicht, daß es fremdenfeindliche Einstellungen und Emotionen innerhalb der Polizei gibt. Doch die, so ein Fazit, seien „weniger ein Problem individueller Einstellungen als vielmehr struktureller Belastungen“: Streß, Überlastung, Erfolg- und Folgenlosigkeit polizeichen Handelns sehen die Polizeiforscher als Hauptursache für ausländerfeindliche Einstellungen und Übergriffe bei der Truppe.

Die Lösungsansätze, die die Forscher nach Workshops mit Polizisten aus dem ganzen Bundesgebiet erarbeitet haben, klingen nach dieser Art der Ursachenforschung nur folgerichtig: Verdienstmöglichkeiten für Ausländer „durch Drogenhandel und Zuhälterei begrenzen, der illegalen Einwanderung und ethnischen Segregation entgegenwirken“. So ist der Fremde das Problem.