Wühltisch
: Im Club der Tigerenten

■ Pädagogik und Komik: Wie Kinder an die Produkte der Warenwelt kommen

Die Aufzucht der Kinder zu umsichtigen Pädagogen, veranschaulichte kürzlich die Inhaberin eines Spielwarenladens, befindet sich in einem fortgeschrittenen Stadium. Die kleine Julia (3) sei munter von Regal zu Regal gehüpft, um der Mutter all die gefährlichen Dinge zu zeigen, an denen Kinder sich verletzen können. Die Geschäftsfrau zeigte sich recht erschüttert, denn auf ihr nicht zuletzt nach pädagogischen Kriterien ausgesuchtes Sortiment war sie stolz. Triumphierend habe die Göre eine Kinderkäsereibe mit zu scharf befundenen Kanten hochgehalten, was die Erziehungsberechtigte umgehend lobte und mit einem bösen Blick in Richtung Ladenbesitzerin quittierte.

Junge Eltern neigen dazu, ihre Version des Kindchenschemas auf beinahe alle Fragen des alltäglichen Lebens auszudehnen. Julias kleiner Bruder (18 Monate), im Sicherheitsgurt des Buggys sichtlich bewegungsgehemmt, demonstrierte unterdessen, wie man ein paar Wichtelklötze in Wurfgeschosse umfunktionieren kann. Die eher schwachen, ja zögerlich einsetzenden Ermahnungen hielten ihn nicht von einer Wiederholungstat ab. Die Pazifizierung unserer Jüngsten, das scheint diese Episode zu belegen, zeitigt erst in der Phase des fortgeschrittenen Spracherwerbs Erfolge.

Die Gefahr freilich, daß bereits in den Kinderstuben lauter kleine Krieger heranwachsen, ist weitgehend gebannt. Man hört nur noch selten von Umtauschaktionen Kriegsspielgerät gegen Buddelsachen.

Wie Kinder an die Produkte der Warenwelt gewöhnt werden, beschäftigt freilich weiterhin die Volks- und Küchenpädagogik. Einen erkennbaren Medieneinfluß kann die Ladenbesitzerin in diesem Zusammenhang durchaus bestätigen. In den letzten Monaten seien Pocahontas-Puppen stark nachgefragt. Als Geschäftsfrau müsse man ständig das Kino- und Fernsehprogramm im Auge haben. Wie übrigens auch die Medien das Wahlverhalten der Kinder beobachten. Der Disney- Club wurde kurzerhand in Tigerenten-Club umbenannt, weil die Janosch-Ente seit Jahren ein Hit ist, während Disney eher der Welt der Elterngeneration entstammt. Die Figuren aus der Sesamstraße sind nach wie vor beliebt, während die Power Rangers trotz intensiver Warnungen bei den Kids nie sonderlich gefragt waren.

Käpt'n Blaubär und Hein Blöd finden bei den Kindern trotz des großen Kritikererfolgs nur geringen Anklang. Film und Fernsehen üben offenbar nur einen begrenzten Einfluß auf das Kinderzimmerequipment aus. Als wirksamstes Medium zur Beeinflussung der Kinderphantasie erweist sich indes die Erinnerung der Eltern.

Mit Vorliebe kaufen sie für ihre Kleinen Steinbau- oder Stabilbaukästen, mit denen sie einst selbst ihren Forscherdrang befriedigten. Autogaragen und Kaufmannsläden sind weiterhin große Renner.

Das gute Kinderspielzeug fungiert als Möbel nach dem geschmacklichen Gusto der Eltern. In fast allen Kinderzimmern finden sich große, bunte Kugeltürme, an denen Ökotischler ihre Phantasien abarbeiteten, mit denen die Kleinen in der Regel aber nicht spielen. Schaukelpferde wie aus Großvaters Zeiten werden in Tischlerkollektiven gefertigt, und es soll Vierjährige geben, die sehr eloquent den Unterschied zwischen Holz- und Plastikspielzeug erläutern können.

Als Trend aus dem Spielzeugland vielleicht noch dies: Ganze Puppenensembles repräsentieren die gute alte Großfamilie mit Mama, Papa, Oma, Opa, Tante und Freundin. Das Regiment Alleinerziehender wird von den Kindern nur selten als Segen erfahren. Harry Nutt