Die Toten und Vermißten sind Miloševićs Schicksal

■ Bosnische Serben nutzten UNO-Präsenz, um Kooperationswillen zu demonstrieren

Die Toten und Vermißten von Srebrenica sind zu einem Politikum ersten Ranges geworden. Die Aufklärung ihres Schicksals wird für den Friedensprozeß in Bosnien-Herzegowina von großer Bedeutung sein. Nicht zuletzt deshalb ist die Aufdeckung der vermuteten Massengräber, deren Anzahl in Bosnien auf mehrere hundert geschätzt wird, und die Verfolgung der Kriegsverbrecher Aufgabe der internationalen Gemeinschaft. Die Kriegsparteien sind laut Dayton-Abkommen gehalten, mit dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag und den internationalen Menschenrechtsorganisationen zusammenzuarbeiten.

Ohne diese Kooperation werden weder die Gelder der Weltbank noch der EU für den Wiederaufbau Bosniens ausgezahlt werden. Auf diese Weise sind insbesondere die bosnischen Serben zur Aufklärung des Schicksals von Tausenden von Vermißten in Srebrenica und Žepa, aber auch in den Lagern um Prijedor im Norden Bosniens und um Jajce in Zentralbosnien angehalten.

Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen müssen mehr als 80 Prozent der Massaker an der Zivilbevölkerung in Bosnien den bosnischen Serben zur Last gelegt werden. US-Außenminister Warren Christopher hat deshalb bei seinem Besuch am Sonntag in Belgrad darauf bestanden, den in Den Haag als Kriegsverbrecher angeklagten Radovan Karadžić auszuliefern. Und erhielt die Zusicherung des serbischen Präsidenten Slobodan Milošević.

Auch wenn noch unklar ist, wie die Auslieferung vor sich gehen soll, ist unbestreitbar, daß der internationale Druck in Sachen Massengräber und Kriegsverbrecher den selbst nicht ganz unbelasteten Milošević zur Kooperation zwingen kann. Und sei es nur, weil er die eigene Haut retten will. Beauftragt mit der Aufdeckung der Massengräber und der Exhumierung der Leichen ist eigentlich das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag. Grund hierfür ist die Sicherung von Beweisen gegen Kriegsverbrecher. Das Tribunal hat zwar Vertreter nach Bosnien entsandt. Aber ausreichend Mitarbeiter, insbesondere Pathologen, sind noch nicht vor Ort. Immerhin haben Nato und Ifor zugesagt, dem Tribunal auf Anfrage jede erdenkliche Sicherheit zu gewähren, um vor Ort Beweise zu sammeln.

Für die Beweisführung wäre es aber von unschätzbarem Wert, wenn dem Tribunal in Den Haag die amerikanischen Satellitenaufnahmen und Abhörprotokolle zumindest von den Massakern in Srebrenica und Žepa zur Verfügung gestellt würden. Die Aufdeckung der Massengräber hat einen hohen internationalen Publizitätswert. Von daher ist es nicht überraschend, daß neben dem Tribunal in Den Haag auch die UNO-Menschenrechtskommission auf den Plan getreten ist. Ihre Aufgabe ist eigentlich die Überwachung und Verifizierung von aktuellen Menschenrechtsverletzungen. Sie arbeitet mit den Behörden vor Ort zusammen, um die Verletzung von Menschenrechten anzuprangern und Besserung einzufordern. Die UNO-Menschenrechtskommission berichtet gegenüber der UNO-Vollversammlung und dem Sicherheitsrat, der dann über eine Verurteilung der jeweiligen Länder entscheidet.

Die Beauftragte der Menschenrechtskommission für Bosnien- Herzegowina ist die ehemalige finnische Verteidigungsministerin Elizabeth Rehn. Der pressewirksam arrangierte Auftritt Rehns wurde von Seiten der bosnischen Serben vor allem dazu genutzt, die bislang verweigerte Kooperationswilligkeit mit der UNO-Menschenrechtsbeauftragten zu demonstrieren. Nach dem Besuch des US-Beauftragten für Menschenrechte, John Shattuck, vor zwei Wochen erhöhte sich damit aber zugleich der Druck auf die bosnischen Serben, die Morde vom Juli vergangenen Jahres in Srebrenica aufzuklären.

Nach Angaben des serbischen Distriktgouverneurs von Srebrenica, Miroslav Durenić, muß es als ausgeschlossen gelten, daß die rund 8.000 Vermißten noch am Leben sind oder in Gefangenenlagern der bosnischen Serben als Zwangsarbeiter festgehalten werden. Damit räumte er erstmals offiziell ein, daß die Vermißten tatsächlich getötet wurden – ohne allerdings die Existenz von Massengräbern zugeben zu wollen.

Die Frauen aus Srebrenica werden jedoch weiterhin Aufklärung über das Schicksal ihrer Männer und Söhne verlangen. Wenn sie damit Erfolg haben und die ganze Wahrheit über Srebrenica ans Licht kommt, könnte das in Bosnien und über Bosnien hinaus für so manchen Verantwortlichen politische Konsequenzen haben. Georg Baltissen, Srebrenica