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■ „Hallo, ich bin nackt!“ „Erfolglose Künstler“ von Josepha van der Schoot – ein Film übers Scheitern

„Es gibt auch zu viele Kunstschaffende und Sportler. [...] Es ist nicht notwendig, übermäßig viele Kunstschaffende und Sportler zu haben. [...] Es ist überflüssig, zu viele Berufskünstler und Sportler zu haben“, lehrt Kim Il Sung, der große Führer des koreanischen Volkes, ohne allerdings genauer anzugeben, wie viele Künstler denn notwendig seien und was unter Notwendigkeit zu verstehen sei. Auch in Deutschland ist das Image des Künstlers eher ambivalent: Einerseits haben Umfragen ergeben, daß die meisten gern Künstler werden würden, andererseits denken die meisten – selbst in Berlin-Mitte, der „spannendsten Experimentierbühne Berlins“ (Spiegel), daß es zu viele Künstler und zuviel blöde Kunst gibt. Wobei Spießerstreitigkeiten – ob schlechte Künstler zum Beispiel auch Künstler seien – glücklicherweise selten geworden sind.

In dem von der DFFB und dem ORB produzierten Dokumentarfilm von Josepha van der Schoot geht es um „Erfolglose Künstler“ – eine nicht unbedingt eindeutige Kategorie. Denn der eine versteht unter Erfolglosigkeit ein berlinüblich melancholisch-schönes Losertum, der andere finanziellen Mißerfolg, der nächste wieder ein Scheitern selbstgesteckter künstlerischer Bestrebungen. Besonders tragisch: die Maler, Dichter, Musiker, die erst spät merken, daß sie keinerlei Talent haben.

Die meist in Berlin beheimateten Dichter, Dramatiker, Musiker und Maler, die die 35jährige Filmemacherin durch Inserate – „Erfolglose Künstler gesucht“ – kennenlernte, sind sich zumindest ihrer Sache größtenteils sicher. Nur die Welt will halt nicht so, wie sie es gern hätten. Was verschiedene Gründe haben kann: Schädelwald, ein Maler mit Strubbelkopf, der Totenschädel lieber mag als Frauen und düstre Dinge bevorzugt, sagt: „Kunst muß weh tun“, Kunst muß „schreien“. Weil Kunstkäufer vor allem „gemütliche“ Kunst schätzten, sei er nicht so gefragt, was er auch nicht so schlimm finde. Eine Musikerin von der Gruppe „Gottlieb“ denkt, daß Medienbeziehungen eine sehr große Rolle spielen würden. Deshalb ruft sie häufig bei den Zeitungen an, ohne ihren Namen zu nennen, und lädt meist desinteressierte Verkehrsnachrichten und blutrünstige StoriesFoto: Verleih

Journalisten zu Konzerten an geheimen Orten. Ein junger Dichter sitzt schreibend in Prenzlauer-Berg-Cafés. Blöde Journalisten kommen für Drei-Minuten-Interviews vorbei. Dann sitzt er im Büro der Künstlersozialfürsorge und besteht gegenüber einer leicht genervten Beurteilerin darauf, einen eher mißlungenen Text vorzulesen, um Lesungen in Altersheimen zu bekommen.

Ein anderer Dichter mit Zopf spricht im Deutschlandradio die Verkehrsnachrichten und schreibt ansonsten blutrünstige Kurzgeschichten. „Es ist ja in gewisser Weise eine Negativbeschreibung, die du da machst“, sagt der Interviewer. Ein Maler verziert den Flur des Sozialamts unentgeltlich mit seinen Bildern. (Prima!) Drei hippieske Künstler verschönern eine Bushaltestelle.

Die Diskussionen, die die erfolglosen Künstler in Künstlerküchen und anderswo führen, sind so banal wie richtig: Im allgemeinen geht es recht klassisch um den mehr oder minder existentiellen Sinn der Künstlerexistenz. Einer sagt, Künstler sei man, um dem „Leben“ auszuweichen; ein Helmut Bröker, ein distinguiert wirkender älterer Galerist, führt kluge „Kunstgespräche“ und schreibt seit Jahren an einem großen dichterischen Werk – ob es mal jemand lesen wird, ist ihm egal: „Ich arbeite nicht für ein Publikum.“ „Vielleicht wäre ich schwach genug, mich am Erfolg zu freuen“, gesteht er. Zwei erfolgsarme Dichter denken, es würde genügen, wenn sie anspruchsloser schreiben würden. Dann käme auch der Erfolg vorbei. Ein Schreiner versucht sich in seiner Freizeit mit Kunst zu „verwirklichen“, weil man im Berufsleben im allgemeinen doch nur das mache, was einen nicht interessiere. Weil das stimmt und weil erfolglose Künstler zumindest versuchen, etwas zu machen, was sie interessiert, mag man sie natürlich viel lieber als meinetwegen erfolglose BWL-Studenten.

Leider beschränkt sich der Film auf die Selbstwahrnehmung seiner HeldInnen, deren Namen übrigens im Presseinfo zum Film fehlen. So fehlt sowohl die Distanz, die den Film informativer und vor allem lustiger hätte werden lassen können, als auch die Tragik der freien Künstlerexistenz, die einige in den Wahnsinn oder den Tod treibt.

Am Ende steht eine nackte Frau an einem nächtlichen Fenster und ruft ins Leere: „Hallo, ich bin nackt! Schaut doch mal her!“ Detlef Kuhlbrodt

„Erfolglose Künstler“, R: Josepha van der Schoot; D 1994, 70Minuten. Bis 14. 2., täglich 19 Uhr, fsk am Oranienplatz, Segitzdamm 2, Kreuzberg, anschließend im Babylon Mitte

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