■ Ost, West etc.
: Berlin = Nielsen 5a + 5b

Neue Mauern für unsere Köpfe – anzugucken in der letzten Ausgabe des sogenannten Szenemagazins 030, kostenlos zuständig für Berliner „Nightlife“. Die Seite 13 des kunterbunten Blättchens ziert eine Anzeige für die Ost-Zigarette „Cabinet“ – allerdings nur, wenn man die Ausgabe in einer Kneipe oder einem Fast-food-Laden im Ostteil der Stadt aufgelesen hatte. Wer sich in Westberlin beim Whopper-Schmatzen in das knallige Layout versenkt, stößt auf Seite 13 auf eine Werbung für die Zweite Hand.

030-Redaktion und -Verlag sind nie um einen Kult verlegen. „Ostalgie“ und „Der neue Westen“ – irgend so eine Polarisierung werde man dort per Anzeigen-Splitting wohl vorbereiten, war der erste Gedanke zu den ungleichen Magazin-Schwestern: Der Ostberliner bekommt seine Traditions-Zichte, der Westberliner seinen gebrauchten Zweitwagen. Nostalgisches Identifikationsangebot auf der einen Seite, Secondhand-Kapitalismus auf der anderen.

Einige Recherchen machten die politpsychologischen Mauer- Ideen schnell zunichte. Hintergrund für die Zweiteilung ist eine ganz profane marktwirschaftliche Realität, die den Namen „Nielsen“ trägt. Die Bundesrepublik zerfällt in sieben Nielsen- Gebiete, die den Werbestrategen und Marketingexperten als Flächenmaß dienen: Wer Waschpulver oder Zigaretten unters Volk bringen will, orientiert sich an den Nielsen-Grenzen, die – an Bevölkerungszahl und -struktur etwa gleich – unser Land in Reklameflecken zerschneiden.

Der Großraum Berlin wird in dieser Aufteilung zu „Nielsen 5“ – mit einer Subteilung, deren Demarkationslinie mitten durch die wiedervereinigte Hauptstadt läuft. Natürlich entlang der alten Zonengrenze: Nielsen 5a meint Westberlin, Nielsen 5b Ostberlin.

„Cabinet“ darf nur in 5b beworben werden. Das gute Ost- Zigarettchen war nach der Wiedervereinigung und der Übernahme durch die Firma Reemtsma auf einen Namensvetter getroffen, einen Drehtabak (Achtung, 030: „Der neue Selfmade- Kult“?) aus dem Hause Brinkmann-Niemeyer. Also müssen – laut den Bestimmungen des Markenschutzes – die DDR-Stengel dort bleiben, wo sie herkommen. Ein gerichtliches Verfahren scheint sich nicht zu lohnen, da im Westen (Nielsen 1 bis 5a) eh niemand die fertigen Tabakröllchen aus den Bereichen Nielsen 5b–7 rauchen will.

Nix mit Ostalgie, statt dessen ein gut kapitalistisches Gentlemen's Agreement zwischen zwei Tabak-Großfirmen. In der Doppel-Nielsen-Stadt Berlin führt das zu Auswüchsen wie der geteilten 030-Ausgabe – statt Mauern in den Köpfen zurück zur teilungsgeographischen Realität. Möglich, daß man demnächst am Brandenburger Tor oder am Checkpoint Charlie von Sektor 5a nach Sektor 5b nur noch ohne „Nightlife“-Magazin passieren darf – der Spiegel wurde schließlich früher auch immer an der Zonengrenze konfisziert. Kolja Mensing