■ Normalzeit: Arbeitsbeschaffungs-Kriminalität (ABK)
„Die Arbeit, bei der man nicht mehr singt, drückt den Menschen nieder. Der Arbeiter liebt seinen Beruf nicht mehr, und das bringt die Welt ins Wanken“, meinte der Franzose Pierre Hamp 1925. Das Verstummen betraf noch den vom Feld in die Fabrik vertriebenen Arbeiter („Stadtluft macht frei!“). Wo sich dann jedoch – nach 1945 – diese Modernisierung mit der Befreiung vom Kolonialismus verband, herrschte wieder Aufbruchstimmung. Der in der Studentenbewegung verehrte Befreiungstheoretiker Frantz Fanon schrieb: „Wenn der Bau einer Brücke das Bewußtsein derer, die daran arbeiten, nicht verändert, dann soll die Brücke nicht gebaut werden.“
In den sozialistischen Aufbaubrigaden und Komsomolprojekten war dieser Gedanke bis in die 60er Jahre noch vorhanden: Selbst wer nur mit dem Spaten an einem Staudamm beteiligt war, wurde dabei zum „neuen Menschen“ geschmiedet. Später stützten mehr und mehr „Sonderzulagen“ den erlahmenden Enthusiasmus. Nach 1989 durften sich auch Westler in dieser Dialektik einrichten: Von der „Buschzulage“ über „Sonderabschreibungen“ bis zum „Pionier im Osten“ (mit kostenloser Medienbegleitung) reicht mittlerweile das Spektrum. Für die „Daheimgebliebenen“ hüben wie drüben geht es jedoch unterdes nicht mehr um „nichtentfremdete“ oder „menschenwürdige Arbeitsplätze“, nicht einmal um „längerfristige Jobs“, sondern darum, eine „Rolle“ zu finden (und zu spielen). Den Frauen wird das besonders schwergemacht, sie sind jedoch besser dazu in der Lage. Nichtsdestotrotz scheint der alte Aufbaugedanke mancherorts nicht totzukriegen zu sein.
Die SPD Brandenburg hat jetzt zum Beispiel eine neue „Arbeitsplatzstrategie“ verkündet. Stolpe verspricht eine Senkung der Arbeitslosenquote unter 10 Prozent und mindestens 50.000 neue Arbeitsplätze. Im Ton, als handle es sich um einen zweiten „Hoover-Staudamm“. Sein Wirtschaftsminister denkt dabei jedoch primär an eine „Prozeßmethode“ – und präzisiert: Insbesondere in der Bauwirtschaft liege ein „gewaltiger Nachfrageschub“.
Im Endeffekt läuft diese Brandenburgische Arbeitsbeschaffung also auf das Berliner Bauherrenmodell hinaus: Einerseits werden behördliche Genehmigungsvorgänge nach draußen, an eine schnelle Bank etwa, gegeben, und andererseits werden von mehreren Behörden bei größeren Objekten sogenannte Task-Forces gebildet – wie zum Beispiel am Checkpoint-Charly-Businesscenter geschehen, wo diese „Eingreiftruppe“ oftmals schneller genehmigt als die Architekten mit ihren Zeichnungen nachkommen. Diese ganze auf Effizienz eingestempelte „Papiermagie“ hat indes mit neuen Arbeitsplätzen wenig zu tun – eher im Gegenteil: Dadurch wird noch einmal die Konzentration im Baugewerbe forciert, und das kostet Arbeitsplätze: Obwohl sich das Bauvolumen in Berlin mit 28 Milliarden Mark im vergangenen Jahr gegenüber 1992 mehr als verdoppelt hat, stieg die Zahl der Konkurse 1995 um 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr, verloren und verlieren in jedem Monat 700 Bauarbeiter ihre Arbeit.
Derzeit sind 17.000 arbeitslos gemeldet und 2.500 in Kurzarbeit (in Brandenburg noch einmal so viel). Das Baugewerbe steht damit an der Spitze in der Arbeitslosenstatistik – und nicht, wie man in Potsdam meint, an der Spitze des „Nachfrage-Schubs“. Vielleicht geht es dabei aber auch um etwas ganz anderes? Aus dem Saunakomplex bei Rehbrücke erfuhr ich neulich den neuesten Ost-Witz: „Wann ist die Einheit endlich vollendet? Wenn alle Ostler aus den Grundbüchern getilgt sind!“ Helmut Höge
wird fortgesetzt
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