„Ich leihe mir die Zeichnerhände“

■ Neue deutsche Trickfilmtradition: In Prenzlauer Berg bringen Computer und ein internationales Zeichnerteam die Kunstfiguren Asterix oder Benjamin Blümchen zum Laufen

Ganz oben, in einem dunklen, ungeheizten Raum stehen die Belichtungsapparte, mit denen im herkömmlichen Verfahren Trickzeichnungen auf Film kopiert werden können. Sonst ist der Raum leer. An der Tür hängt ein Zettel: „Ab jetzt wird alles einfacher“. In der Tat. Die Hahn-Film GmbH in Prenzlauer Berg produziert ihre Filme zunehmend am Computer. Zeichnungen werden eingescannt, elektronisch coloriert und animiert. Handzeichnungen in großem Stil läßt Gerhard Hahn in Korea oder auf den Philippien anfertigen. Alles ist einfacher.

Über zwanzig Jahre hatte Gerhard Hahn seine Zeichenpassion regelrecht unterdrückt. Auf Drängen seiner Eltern begann er ein Jurastudium, baute parallel dazu eine Konzertagentur auf. Erst mit 36 Jahren kam der Niedersachse über einen gezeichneten Promotion- Trickfilm für eine polnische Band zurück zum Zeichnen.

Der Branchenwechsel war nicht einfach. Seit dem Zweiten Weltkrieg gab es keine Zeichentricktradition mehr in Deutschland. Nicht zuletzt durch Hahn, der als bester deutscher Trickfilmzeichner gelobt wird, wurde sie wiederbelebt. „Ich bin nicht der beste Zeichner“, sagt der 49jährige. „Ich beschränke mich auf Entwürfe und leihe mir die Hände von Zeichnern, die es besser können.“

Den Einstieg zum Erfolg bot ein Entwurf von „Benjamin Blümchen“. Der Serie mit dem „töröötenden“ Elefanten führte den Trickfilmer 1986 nach Berlin, „weil hier der Produzent saß“. Nach der Wende zog die Firma aus dem sterilen Westend in einen Hinterhof in Prenzlauer Berg. Der Trickfilmer suchte ein kreatives Umfeld für seine Zeichner – „so wie es früer in Schwabing war“. Das „kreative Umfeld“ erwies sich auch als gefährlich: Mehrfach seien seine ausländischen Mitarbeiter im Ostteil der Stadt angepöbelt und überfallen worden.

Seinen Kinotraum erfüllte sich Hahn als Regisseur von „Asterix in Amerika“ und der Flensburger Flachwitz-Kultfigur „Werner Beinhardt“. Heute hat er Probleme mit einigen Szenen. Anfangs sei er froh über jeden Auftrag gewesen. Inzwischen kann er sich die Selbstverpflichtung erlauben, Gewalt, Pornographie und reaktionäre Darstellungen abzulehnen. „Bei Werner gab es Dinge, die man als Vater seinen Kindern nicht zeigen will.“ Hahn distanziert sich vom „Saufen als Selbstzweck und der ständigen Rülpserei. Als mein Sohn das nachmachte, erkannte ich, wie schnell man Schaden bei den Kids anrichten kann.“ Eine klare Grenzziehung fällt ihm aber schwer. Cartoonfiguren, wie „Tom und Jerry“, die trotz aller Malträtierungen nicht totzukriegen sind, lebten von der Selbstparodie. „Auf Dauer finde ich das harmlos, aber auch langweilig.“

Seit Ende Januar laufen die Geschichten des „rotzfrechen Mädchens Renaade“ im Fernsehen. Hahn hat sie zusammen mit seinen Kindern Linus und Luzie entworfen. „Die sind näher an der Szene und kennen die Sprache.“ Das Gesicht der Hauptfigur erinnert stark an die japanischen Heidi-Filme, erfüllt jedoch kaum den eigenen Anspruch vom eckigen und schrägen Stil. Die Entwürfe des Schweizer Zeichners Ted Sieger für das nächste Spielfilmprojekt kommen dem schon näher. Skurrile Architektur, Treppen, die ins nichts führen, dünnbeinige Figuren mit feinem Strich.

In Deutschland gebe es zu wenig gute Zeichner, bedauert Hahn. Darum bildet er diese selbst aus. Auch an der Hochschule für Film und Fernsehen in Babelsberg ist er seit 1993 Professor für Animation. Eine Arbeit, die zusätzlich inspririert. „Die Studenten können ohne Rücksicht auf Kommerz arbeiten“, beneidet er den Nachwuchs.

Wer aber nicht mit der Kunstform Trickfilm auf Festivals versauern wolle, müsse Kompromisse schließen. Allenfalls für kurze Musik- oder Traumsequenzen kann er solchen Ideenreichtum verwenden und vertagt kreative Pläne. „Wenn ich in Rente gehe, werde ich Zeit finden, wieder selbst zu zeichnen.“ Gereon Asmuth