Eine erfolgreiche Zusammenarbeit

Die Ausstellung über „Verbrechen der Wehrmacht“ dokumentiert die Verstrickung des Militärs in die NS-Ausrottungspolitik. Jetzt ist sie in die Kritik geraten. Eine Verteidigung  ■ Von Christian Semler

Trotz schier erdrückender Gegenbeweise, trotz jahrzehntelanger Arbeit des Freiburger Militärischen Forschungsamts und des Münchner Instituts für Zeitgeschichte galt die deutsche Wehrmacht bis in unsere Tage als weitgehend unbefleckt von Naziverbrechen.

Speziell in dem euphemistisch „Rußlandfeldzug“ genannten Vernichtungskrieg Nazideutschlands gegen die Sowjetunion wurde die Wehrmacht dank einer behaupteten Arbeitsteilung entlastet: Die Massenmorde gingen auf das Konto der nazistischen Sonderkommandos, des SD, der SS und ihrer Hilfstruppen. In der Wehrmachtsführung habe es zwar bedauerliche Erosionserscheinungen gegenüber Hitlers Mordbefehlen gegeben, aber im ganzen habe sich das deutsche Heer ehrenvoll geschlagen. Die Ausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung über die Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1945 zielt auf die Zerstörung dieses fortwuchernden Mythos. Sie ist nicht deshalb bedeutend, weil sie ein völlig neues Geschichtsbild erschließt, sondern weil sie die systematische Einbindung der Wehrmacht in Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung in bislang unerreichter Dichte und mit einer Fülle bisher unbekannter Beweismittel dokumentiert. Eine zentrale Rolle spielten bei diesem Unternehmen Fotos, die bei gefallenen oder gefangengenommenen Landsern gefunden und in sowjetischen Archiven gesammelt wurden. Diese Dokumente des „alltäglichen Faschismus“ eröffnen der Forschung neue Wege. Mentalität und psychologische Verfaßtheit der Soldaten, soziale und kulturelle Faktoren geraten ins Blickfeld.

Wie zu erwarten, stieß die Arbeit des Hamburger Instituts nicht nur auf freudigen Applaus. Vor allem, als die Hamburger sich entschlossen, ihre Ausstellung (nach großem Publikumserfolg) auf Wanderschaft zu schicken. Sie sei einseitig konzipiert, zerreiße den historischen Zusammenhang, hieß es aus Fachkreisen. Tatsächlich haben es die Ausstellungsmacher gewagt, von den Verbrechen der Wehrmacht zu reden, ohne im gleichen Atemzug die Verbrechen der Sowjetarmee anzuprangern. Noch weniger haben sie sich dazu verstanden, in der Manier Ernst Noltes erstere als Folge der letzteren anzusehen. Das ist unverzeihlich.

Günther Gillessen, bekannt als Militärexperte der FAZ und berüchtigt als Verteidiger des Historikers Joachim Hoffmann, der auf besonders einfältige Weise die These vom „Prius“ der sowjetischen Angriffspläne auf Deutschland vertritt, hat jetzt den Kampfplatz betreten, um eine vernichtende Salve gegen die Hamburger abzufeuern (FAZ vom 6.2.96). Es zeigt sich allerdings, daß seine Munition aus Nebelkerzen besteht. Zuerst der übliche Schmäh: Die Ausstellung erbringe nichts Neues und ignoriere den Stand der Forschung. Dann die Keule: Ausstellungsmacher Hannes Heer bezeichne die Wehrmacht summarisch als verbrecherische Organisation und nenne sie „die zweite Säule des Systems“. Zuviel Ehre für Heer. Denn diese Charakterisierung stammt von Hitler. Folgt Detailkritik. Gillessen unterstellt den Ausstellungsmachern Schlendrian bei der Zuschreibung von Exekutionsfotografien. Es sei nicht klar, ob es sich um Angehörige der Wehrmacht gehandelt habe. Die Hamburger hatten den Kriminalisten Daenekas, Uniformfachman und früher bei der Zentralstelle für die Ermittlung von Naziverbrechen in Ludwigsburg tätig, als Experten engagiert. Seine Zuschreibungen sind penibel, Widerspruch müßte an einzelnen Fotos festgemacht werden. Vorsichtshalber nennt Gillessen kein Beispiel. Statt dessen beschwert er sich über mangelnde Datierungen und Ortsbezeichungen. Wie hätte aber in jedem Fall – bei den größtenteils kaum oder gar nicht beschrifteten Landserfotos – dieser Anforderung Genüge getan werden können?

Gillessen unterstellt, die Aussteller hätten das Massaker an den im Ghetto von Orscha zusammengepreßten Juden am 19. und 20. 10.1941 der Wehrmacht in die Schuhe geschoben. Tatsächlich weist der Ausstellungstext nach, daß das Ghetto von der Wehrmachtskommandantur eingerichtet wurde, daß der Feldkommandant an der Besprechung, die die Ermordung der Juden beschloß, teilnahm, daß das Ghetto durch eine Postenkette der Feldgendamerie abgesperrt wurde und daß danach der SD mit seiner Mordaktion begann. Also eine präzise Darlegung der Kooperation von Wehrmacht und SD. Die Fakten basieren auf einer Zeugenaussage des Ortskommandanten Paul Eick vor dem Minsker Militärtribunal am 18. und 19.12.1945.

Wäre es Gillessen um eine ernsthafte Auseinandersetzung gegangen, hätte er den Beweiswert dieser Aussage anzweifeln müssen. Schließlich der zentrale Vorwurf Gillessens: Heer und seine Freunde hätten bei dem Partisanenkrieg gegen die deutschen Besatzer nicht mit nötiger Klarheit zwischen wirklichen Partisanen und solchen unterschieden, die von SD und Sicherheitspolizei als Partisanen abgestempelt wurden. Also „kriminellen Elementen“ und „Banden“, zu denen die jüdische Bevölkerung gezählt wurde. Deshalb sei unentscheidbar, ob die in den Fotos dargestellten Hinrichtungen Verbrechen seien oder durch das Völkerrecht abgedeckte Formen der Partisanenbekämpfung. Souverän ignoriert Gillessen die Befehle des Oberkommandos der Wehrmacht vom Frühjahr und Sommer 1941, die die Zuständigkeit der Kriegsgerichte aufhob und „die Truppe“ ermächtigte, auch gegen unbewaffnete Personen vorzugehen, gegen „Hetzer, Flugblattverteiler, Brandstifter“, die „kollektive Gewaltmaßnahmen“ ausdrücklich zuließ, wenn Täter nicht zu ermitteln waren. Die Ausstellung belegt, daß für das erste Jahr der Besatzung 80.000 getötete Partisanen 3.000 Opfern in den eigenen Reihen gegenüberstanden. Es war, wie die Ausstellungsmacher schreiben, „ein Partisanenkrieg ohne Partisanen“. Erst diese Terroraktionen führten 1942/43 zum Beginn des eigentlichen Partisanenkrieges. Indem Gillessen diesen zeitlichen Zusammenhang weder referiert noch widerlegt, wird für ihn der Weg frei zu apologetischen Konstruktionen. Die Wehrmacht habe, „um wenigstens mit dem Schrecklichen nichts zu tun zu haben“, sich der Militärgerichtsbarkeit entledigt, es habe keine Alternative zur Zusammenarbeit mit dem SD gegeben etc. Um schließlich bei der These zu landen, daß Kriege im Zeitalter der Ideologien und der Massenmobilisierung eben notwendigerweise grausam seien. „Darin liegt keine Entschuldigung“, resümiert Gillessen unverfroren.