■ Ingo Hasselbach macht Karriere: Als „Führer Ex“, fotografiert von Newton, tourt er warnend durch Amerika
: Sexy Nazis

„A Star is born!“, möchte man verwundert ausrufen angesichts der neuesten Volte, die Ingo Hasselbachs Karriere geschlagen hat. Als „Führer Ex“ hält der ausgestiegene Berliner Neonazi in New York bestbesuchte Lesungen seiner mit Hilfe des Ghostwriters Tom Reiss aufgezeichneten Autobiographie. Fünf Agenten managen ihn bei Random House, ein japanischer Sender mußte 10.000 Mark für ein Interview zahlen. Auf MTV trat er mit Max Mannheimer, einem Auschwitz-Überlebenden auf.

In Talkshows, Autogrammstunden und bei Vorträgen im jüdischen Kulturzentrum erweckt er den Eindruck, Antisemitismus sei hierzulande eher die Regel als die Ausnahme und die Überführung Deutschlands in ein Viertes Reich durch eine Armee brutalisierter 14jähriger stehe unmittelbar bevor. Der New Yorker ließ ihn auf zwanzig Seiten zu Wort kommen, für die ihn der Starfotograf Helmut Newton zu einer Session auf sein Penthouse einfliegen ließ, wo er mit herrschatlichem Mantel, nacktem Oberkörper, angefeuchteten Lippen und dubios-brutalem Blick in die unter ihm knieende Kamera herabsieht.

Gothic thrills, sexy Nazis — ein eigentümliches Phänomen. So ganz neu ist es nicht. Das Holocaust-Museum in Los Angeles zeigt das Vorkriegseuropa als Gruselkabinett mit finster verstecktem Café Kranzler und nachgebauter Gaskammer; die größe Videothek der Lower East Side verkündet auf Werbeplakaten stolz, sie verfüge über die weitaus größte Abteilung von „Nazi-Scum“, italienischen KZ-Pornos, Selbstbekenntnissen von Nazi-Größen und so weiter.

Nirgendwo gibt es so viele Syberberg-Retros, nirgendwo wurden Filme wie „Lili Marleen“, „Beruf Neonazi“ oder „Warheads“ dermaßen respektvoll goutiert wie in New York oder San Francisco. (Wie man hört, scheinen sie nicht zuletzt ein schwules Publikum zu interessieren.) Susan Sontag, Essayistin und Romanautorin, sprach schon immer vom „Fascinating Fascism“. Letzte Woche feierte die Village Voice, die größte New Yorker Stadtzeitung, die Publikation der „Turner Diaries“, eines kruden Weltkriegs-Science-Fiction, als „more horrifying than Mein Kampf“, und der jüdische Rezensent erging sich genüßlich in Schilderungen von Massakern an Juden, Schwarzen und Madonna, die für ihre „Rassenvermischungspraktiken“ abgestraft wird.

Bekanntermaßen ist die Verbindung Kitsch und Tod, die all diese Produktionen auszeichnet, keine Erfindung der Nachkriegszeit, schon gar keine der Amerikaner, sondern war, wie der Historiker Saul Friedländer beschrieb, Teil der Nazi-Ästhetik selbst. „Der Ästhetik des Kitsches, also der Vision der Harmonie, steht das Wetterleuchten der Apokalypse gegenüber, das flackernde Licht der Vernichtungsfeuer ... Der Schrecken der Tyrannei drängt zum Chaos, die Angst vor dem Chaos ruft die Tyrannei zurück. Darum die Verehrung der bestehenden Ordnung im Kitsch, bei gleichzeitiger Sehnsucht nach Chaos, Zerstörung und Tod.“

Aber wie ist die aktuelle, öffentliche Inszenierung von Ingo Hasselbachs seltsamer Biographie als Passionsgeschichte vom DDR- Wolfsjungen zum geläuterten Antifaschisten zu erklären? Nehmen wir einmal an, man könnte aus dem, was Hasselbach den Amerikanern erzählt, schließen, was sie hören wollen? Immerhin erzählt er ihnen doch recht bedrohliche Dinge: Daß die Neonazis international vernetzt sind, daß im Osten, wo er am undurchdringlichsten und obskursten ist, die Skinheads wie Pilze aus dem Boden schießen, daß sie von Amerika aus gesteuert sind, und daß die Machtübernahme unmittelbar bevorsteht. Warum sollten Amerikaner, die seit dem Bombenanschlag auf das Staatsgebäude in Oklahoma City höchst alarmiert sind, was rechte Gewalt angeht, etwas so Beängstigendes so erotisch aufladen, so genüßlich inszenieren?

Weil, so scheint es, man an der Übertreibung am besten sieht, daß es so dramatisch nicht ist. Wer noch spielen kann, muß keine Angst haben; wer inszeniert, hat die Kontrolle. Daß die Läuterung eines Neonazis jetzt in Amerika „entdeckt“ wird (obwohl seine Konversion einerseits durch den Filmemacher Winfried Bonengel stattfand, der Hasselbach Intelligenz sowie Sensibilität bescheinigte, und andererseits durch Mölln), beruhigt noch einmal mehr. „Land of the free, home of the brave“ kann eben alle heilen, die mühselig und beladen sind.

Hinzu kommt die identitätsstiftende Kraft des Alarmismus, der sich — wer wüßte das besser als die taz — im Warnen und Mahnen auch immer einen kleinen Triumph gönnt: Haben wir es nicht schon immer gesagt? International vernetzt sind sie! Morgen schon werden sie wieder zuschlagen! Der Schoß ist fruchtbar noch! Erst letzte Woche noch hatte man es doch wieder gesehen: Die deutsche Polizei ist rassistisch! Die deutschen Tornados wollen ganz Europa unter ihre Kontrolle bringen! Angriff der Gen-Tomaten! Daß die Fortexistenz des Antisemitismus oft das einzige ist, was nichtreligiösen Juden wenigstens noch ein Mindestmaß an jüdischer Identität sichert, kann man allmonatlich in der jüdischen Zeitschrift Tikkun nachlesen.

Der erste deutsche Fernsehbericht über Hasselbachs Ausgang aus seiner selbstverschuldeten Bomberjacke und seiner Amerikanerwerdung, ein Kurzbeitrag von Tina Mendelsohn in der ORB- Sendung „Klartext“, konnte sich dann irgendwie auch gar nicht so richtig freuen über diese doch eigentlich begrüßenswerte Entwicklung. Das Leitmotiv des Beitrags war „Wes Brot ich eß', des Lied ich sing'.“ Die Anschuldigungen: Hasselbach lasse seine Rehabilitation „vermarkten“ und variiere seine Erzählung je nach Publikumsgeschmack, duze jeden und sei „als Person“ überhaupt nicht zugänglich. Was sie ihn als Person denn gerne gefragt hätte, wird auch nicht so recht klar. Frau Mendelsohn möchte mit ihrer Frage an Hasselbach „Wie hast du dir Juden vorgestellt?“ eigentlich auch lieber im vergangenen Horrormaterial stöbern als zu erfahren, wie man aus dem Ressentiment herausfindet. Wie gehabt, typisch deutsch: Es reicht nicht, etwas anderes zu machen, keine Ausländer mehr zu hetzen, keine Schlägereien mit Antifa-Bataillonen mehr anzuzetteln — man muß es auch ganz, ganz tief drinnen „als Person“ fühlen und bekennen.

Aber kann einem nicht ein Entertainer, ein Medienspieler, ein Scharlatan, meinetwegen auch mit erotisch aufgeladenen Nazi-Paraphernalia als Deko, um Längen lieber sein als ein echter Nazi? Mariam Niroumand