Bombe zerstört Hoffnung auf Frieden

■ Der Friedensprozeß in Nordirland steht nach dem IRA-Anschlag in London wieder vor einer Zerreißprobe. Die IRA weist alle Schuld von sich. „Major und die Unionisten haben die Chance für die Lösung des Konflikts vertan.“

Belfast (taz) – Nach dem Bombenanschlag in den Londoner Docklands vom Freitag abend ist der Frieden in Nordirland wieder in Gefahr. Die Regierungen in London und Dublin haben jeden Kontakt mit Sinn Féin, dem politischen Arm der nordirischen katholischen Separatistenorganisation IRA, abgebrochen. Die für Freitag geplante Tagung des Forums für Frieden und Versöhnung, an der auch Sinn Féin teilnehmen sollte, wurde abgesagt. Die vorzeitige Entlassung von neun IRA- Gefangenen aus einem südirischen Gefängnis wurde ebenso abgeblasen wie die Verlegung der IRA-Gefangenen aus englischen Gefängnissen nach Irland. Beide Regierungen verlangen von Sinn-Féin- Präsident Gerry Adams eine deutliche Absage an die IRA, wenn der nordirische Friedensprozeß gerettet werden solle.

Die IRA hatte am Freitag erklärt, daß der vor 17 Monaten verkündete Waffenstillstand um 18 Uhr Ortszeit beendet sei. Eine Stunde später explodierte auf der Isle of Dogs im ehemaligen Londoner Hafen eine Bombe. 20 Minuten vor der Explosion hatte es eine telefonische Warnung mit einem authentischen IRA-Kennwort gegeben. Dennoch wurden mehr als hundert Menschen verletzt. Zwei Männer starben. Die IRA beschuldigte in einer Erklärung die Sicherheitskräfte, sie hätten auf die Warnung nicht schnell genug reagiert. Außerdem seien der britische Premier John Major sowie die nordirischen Unionisten für das Ende des Waffenstillstands verantwortlich. „Major und die Unionisten haben die Chance für die Lösung des Konflikts vertan.“

Adams sagte, er sei über den Anschlag vorher nicht informiert worden. Er weigerte sich zwar, bei der „Politik der Verurteilung“ mitzumischen, sagte jedoch: „Ich will anderen Leuten nicht die Schuld in die Schuhe schieben. Die Verantwortung für die Bombe liegt einzig und allein bei der IRA. Ich muß nun mein Gewissen und meine Rolle in diesem Prozeß überprüfen und mich fragen, ob ich in den vergangenen 18 Monaten irgend etwas hätte tun können, um diesen Prozeß zu konsolidieren. John Major muß genau dasselbe tun.“

Major hat für diese Woche Einzelgespräche mit den nordirischen Parteien einberufen – außer mit Sinn Féin. Nordirlandminister Patrick Mayhew sagte, daß Sinn Féin nach wie vor an den Wahlen für eine nordirische Versammlung teilnehmen könne. Diesen Wahlen hatten sowohl Sinn Féin als auch die katholischen Sozialdemokraten eine Absage erteilt. Die Ankündigung der Wahlen war vermutlich der Tropfen, der für die IRA das Faß zum Überlaufen brachte. Der konservative irische Premierminister John Bruton sagte, der Anschlag sei besonders tragisch, weil Außenminister Dick Spring gerade „gute Fortschritte bei der Einberufung eines Treffens im Stile der Dayton-Konferenz zu Bosnien“ gemacht habe. Der britische Staatssekretär Michael Ancram hatte diesen Vorschlag jedoch als „voreilig“ abgelehnt.

Die paramilitärischen Organisationen der Protestanten beraten jetzt über ihre Vorgehensweise. David Ervine, einer ihrer politischen Sprecher, warnte vor einer überstürzten Reaktion. Unterdessen sieht sich US-Präsident Bill Clinton um die Früchte seiner Vermittlertätigkeit gebracht. Er sagte: „Ich bin fest entschlossen, alles in meiner Macht Stehende zu tun, damit die Friedensfeinde keinen Erfolg haben.“ Ralf Sotscheck Tagesthema Seite 3