Die Aufsicht meidet den Raum

■ Mit „4X1“ zeigt das Dresdner Albertinum vier Künstler, die sich an den Randbereichen der Kommunikation abmühen

„Geräusch“, das ist für den Chef der Dresdner Sammlung Neuer Meister, Ulrich Bischoff, der „gemeinsame Bezugspunkt“ zwischen den Arbeiten von Leon Golub, Thomas Huber, Rolf Julius und Jeff Wall. „Wieso Geräusch?“ fragt man sich angesichts der eisig schweigenden Staffeleien von Huber und den Wallschen Leuchtkästen. Golubs rohe Leinwände suggerieren zwar ein gewisses gewalttätiges Grummeln. Doch wo gibt es Geräusche bei Rolf Julius' Installation kaum wahrnehmbarer Töne im Treppenhaus des würdigen Albertinums? Was meint Bischoff mit Störlauten innerhalb seiner Schau „4X1“?

Das erklärte Anliegen der Ausstellungsreihe, die 1995 mit Dumas, Fruhtrunk, Lawler, Odenbach begann, liegt darin, Positionen mit „maßstabsetzender Bedeutung für die Kunst der Gegenwart“ vorzuführen. Ein großes Wort. Doch bevor man Bischoff Unrecht tut – seit Januar 1994 hat er in Dresden einiges an Streit angezettelt. So die Diskussion darum, wie er es wagen konnte, die sakrale Atmosphäre der Romantikerabteilung zu entweihen. Mit vier abgesägten Hausecken von Gordon Matta-Clark. Danach behielten zunächst die Traditionsbesessenen die Oberhand: Eine geplante Baldessari-Ausstellung scheiterte kurzfristig an höheren Gewalten. Leon Golub galt mit seiner Malerei bereits als Outlaw, als die New Yorker Kollegen noch „action painting“ zelebrierten. Während seine Frau Nancy Spero winzige Wesen auf kleinen Formaten als Protest gegen die männliche Gewalt der „Abstract Expressionists“ und den Kunstkommerz verstand, setzte der 1922 in Chicago geborene Golub noch eins drauf. Er bevölkerte sublime (was meint: gigantische) Flächen mit ebensolchen Gestalten. Auf oft ungerahmter Sackleinwand spielen sich Folterszenen, Verhöre, urbane Gewalt ab, in ungewohnt plumper und plakativer Manier. Die Situation, die Golub 1964 nach seiner Rückkehr aus Paris in den Staaten vorfand, hat Nancy Spero als „verlorene Unschuld“ bezeichnet. Das Trauma bestimmt sein Werk noch heute. „Join the Agent Orange Health Club; Be a Lifetime Member!“ wirbt eine Arbeit (1993) – zwei Jahre bevor Kriegsminister McNamarra öffentlich Reue zeigte. Doch am Ende steht kein „Absolvo te!“ sondern nur die lebenslange Mitgliedschaft im Klub der Versehrten. Golub hebt sich bis zum Widerspruch aus der Viererpaarung von „4X1“ hervor. Das ist mehr als eine Generationsfrage. Obwohl er in einem skripturalen Einschub fragt, „Will Allegory Kill Art?“ steht Golub zu engagierten, kritischen Inhalten im Medium Malerei.

Auch der Züricher Thomas Huber, Jahrgang 1955, stellt Sinnfragen an die Malerei, vor allem verbal in seiner begleitenden Rede „Meine Damen und Herren“: „Manchmal denke ich, die Welt wäre durch die Malerei zu erlösen. Man könnte die Welt auf jeden Fall damit verbessern.“ Die Verbindung zu Golub reicht also über die Wucht der Formate hinaus. Vier Leinwände (ganz unmuseal auf Staffeleien) begegnen sich face to face in einem magischen Zirkel. Stumme, schwarzweiße Architekturen errichtet Huber um die und mit der Malkunst. Ohne deren ausgeklügelten Illusionismus zu kopieren, wohnt darin die Paranoia Escherscher Konstruktionen. Steril und unnahbar wenden sich Gemälde der Atelierwand zu. Wo findet sich das kommunikative Element des Künsterlebens, das Huber so wichtig ist? Das Aufsichtspersonal jedenfalls meidet diesen Galerieraum auffällig. In Hubers Vision befindet sich Malerei in offenen, aufwendigen Tempeln, aber inmitten einer leblosen Stadt. Die Kommunikation erweist sich als erzwungen und Kunst als isoliert mitten unter uns – auch eine Position. Aber maßstabsetzend?

Die Metapher vom alles bindenden Geräusch greift noch immer nicht. Im Treppenhaus, nahe Stella und Antes, tönen in schlichter Gebärde die Klangenvironments von Rolf Julius. Musik aus dem „Dazwischen“, leise knisternde Sesampigmente in einem Eisenwok. Nicht Betrachter, nein: Zuhörer werden den Krüppeln der visuellen Gesellschaft anverwandelt. Das vom steten Geräuschschwall überlastete Ohr tastet den Raum ab. Noch nicht ganz taub, findet es den „Musikrest“ von 1983–95, dessen Bestandteile „abgeblätterte Farbe, Kurve, Audio“ sind. Bei Julius treffen wir am allerwenigsten Geräusch, sondern einen Grenzgang zwischen Medien (vorgestellt unter anderem 1985 am Künstlerhaus Bethanien oder 1987 auf der documenta8). Auch das wollte Bischoff thematisieren – Künstler, die an der Grenze ihres Mediums nicht stagnieren.

Gehört der Kanadier Jeff Wall aus Vancouver zu ihnen? Unbarmherzig von innen ausgeleuchtete Fotografien haben ihn in der Tat ein konventionelles Medium durchbrechen lassen, ohne es ganz zu negieren. Gewiß, die Zeiten der Kontroverse etwa um „The Storyteller“ (1986), als ihm vorgeworfen wurde, mit seiner Darstellung der „Native American“-Problematik nur zur Bevormundung der Natives beizutragen, sind vorbei. Doch noch immer zeichnet das Licht mit gnadenloser Schärfe die Linien von sozialem Elend, Verunsicherung und Überdruß. Und noch immer verfremdet der studierte Kunsthistoriker Motive aus der Kunstgeschichte, die dadurch auch erschreckend frisch bleibt. Susanne Altmann

„4X1 – Golub, Huber, Julius, Wall“. Bis 25.2., im Albertinum Dresden