Menschengestalten im Verharren

■ Leid als nostalgische Fotografie und geliebte Melancholie: Verhängnis von Fred Kelemen

Menschen in Warteasylen, hinter Glas ein Spieler am Videogerät, ein zahnlos kauendes Frauengesicht – Gestalten unterm Neonlicht, im Dunklen, im Grauen. Doch griesig braun sind die Bilder gefärbt, und mit der Musik eines traurigen Seemanns unterlegt geraten sie wie nostalgische Photographien. Fred Kelemen, der Voyeur, schaut in Verhängnis ruhig mit der versteckten Kamera auf die Heimatlosen, Gefallenen, Hoffnungslosen dieser Welt. So führt er ins Milieu ein und bereitet den Betrachter vor auf die geduldig erzählte Geschichte.

Es ist eine feindliche Welt. Die Wege, die von unten hinab führen, sind vorgezeichnet. Valerij lebt im Exil. Irgendetwas Schlimmes warf ihn aus der Bahn. Das wenige Geld verdient er mit seinem Akkordeon, auf dem er traurige Weisen in U-Bahn-Höhlen spielt, manchmal gewinnt er beim Pool-Billard. Für Geld tut er vieles, läßt sich kaufen und demütigen, von einem Argentinier zum Tango und zum Saufen nötigen.

Valerij liebt Luba. Mit Geld in der Tasche klopft er bei ihr an. Doch Luba, die früh Verlebte, ist gerade mit irgendeinem Liebhaber zusammen. Den schießt ihr Valerij tot, im Eifer und aus Versehen. Nun bleibt die Kamera bei Luba und ihrem Schock. Halbnackt stürzt sie davon, auf die kalte dunkle Straße. In einer Bar will sie sich berauschen mit Schnaps und mit Männern. Weil die Männer aber Waschlappen, Luden oder Tiere sind, endet der Taumel mit ihrer Vergewaltigung. Im Birkenwald kommt eine tote Puppe zu sich und trottet mechanisch über eine Großbaustelle ab. Da ist auch Valerij, der trottet hinterdrein, und es kann weiter abwärts gehen.

Die Erzählweise von Verhängnis, der mit dem silbernen Bundesfilmpreis ausgezeichnet wurde, lebt aus den langen Einstellungen ohne Schnitt, von der Konzentration auf den verharrenden Menschenleib, auf die verhinderte, weil sinnlose Handlung. Bei den wirklichen Ereignissen büßt sie ihre Überzeugungskraft ein. Wenn Kelemen von seinen Schauspielern Aktion verlangt, um wieder einmal einen aufglühenden Lebensfunken in den Figuren zu ersticken, gleiten die Szenen in hohle Darstellung ab: ins Gefuchtel beim Mord, ins Treiben in der sündigen Bar. Die Dialoge tragen daran keine Schuld: Die vielzüngigen Worte begleiten lediglich die Bilder, denn sie sollen allgemein bleiben.

Nein, es liegt an Kelemens Pathos. Verhängnis ist für ihn synonym mit unabwendbarem Niedergang, daran kann er nichts Komisches oder Groteskes finden. Also hält sich Kelemen an das Leid, das er mit ebenso schönen Aufnahmen wie großem Ernst und Rührung verklärt. Er will die ganze Trostlosigkeit zeigen – was einem Krzysztof Kieslowski früher einmal gelang – und die ganze Romantik der Gosse, was Tom Waits gelang. Beides zusammen gerät ihm zum Melodram. Kelemens Verhängnis ist seine tief geliebte Melancholie.

Hilmar Schulz

Abaton