Harte Währung der Tiden

■ Mit „Tauschwatt“ kehrt Bremen zurück zum einfachen Warentausch

Ob die Finanzpolitik Bremens daran schuld hat, daß die zukünftige Währung der Stadt von „Tiden“ bestimmt wird, mag dahingestellt bleiben. Fest steht nur, daß Bremen sich anstrengt, zum einfachen Warentausch zurückzukehren.

Ingenieur Walter Sachs sieht nicht gerade wie der frühe Karl Marx aus, doch er wirkt überzeugend. Gemeinsam mit zehn GesinnungsgenossInnen hob er „Tauschwatt“ aus der Taufe. Das funktioniert so: Der eine putzt die Küche, die andere repariert dafür das Auto oder erteilt Nachhilfe in Management.

Eine Arbeitsstunde entspricht generell sechs Tiden. Die Währung ist hart, egal, ob jemand schnell oder langsam werkelt. Das müssen die TauschpartnerInnen im Vorfeld unter sich ausmachen. Auch egal ist, ob jemand ein Rohr repariert oder in der Buchführung für Transparenz sorgt. Anders als im normalen Leben werden alle Arbeiten gleich entlohnt. Das ist übersichtlich und politisch korrekt, befand die Mehrheit der Gründungsmitglieder. „Jeder Mensch hat eine beschränkte Lebensarbeitszeit“, erklärt Walter Sachs. „Warum sollte die Arbeit eines Bergarbeiters weniger wert sein als die eines Architekten?“

Nicht alle der bundesweit etwa 80 Tauschringe folgen diesem Prinzip. Einige arbeiten „DMark-orientiert“, der überwiegende Teil aber zeitorientiert, meint Walter Sachs, der eine boomende Branche vertritt: Seitdem die Tauschringidee 1983 im kanadischen Vancouver Island wiederentdeckt wurde, findet sie weltweit Verbreitung. Als die Welle Anfang der 90er nach Deutschland schwappte, reagierten staatliche Instanzen mit Mißtrauen und Verdächtigungen. Der Tauschring, ein Umschlagplatz für Schwarzarbeit, womöglich ein Jobkiller? Untersuchungen in anderen Ländern ergaben, daß der Tauschring weder das eine noch das andere ist. Neuseeland und Großbritannien entschlossen sich sogar, diese Projekte zu fördern und teilweise in Rathäusern anzusiedeln.

Die Bremer Tauschzentrale hat ihren Sitz im Café Körnerwall. Eröffnet wird sie am 17.2. und ist jeweils diestags von 17 bis 20 Uhr und samstags von 12 bis 15 Uhr besetzt. Sie steht allen Interessierten offen. „Tauschwatt“-Mitglied kann jeder werden, der eine Dienstleistung oder Waren tauschen möchte. Dafür werden auf seinem Konto Tiden gutgeschrieben oder abgezogen. Der Einstieg kostet 25 Mark Jahresbeitrag, außerdem werden monatlich sechs Tiden im Lastschriftverfahren abgezogen und gehen auf das Konto der Tauschzentrale.

Damit werden die Miete und die zweimonatlich erscheinende Mitglieder-Zeitung finanziert. Wie in normalen Anzeigenblättern werden darin alle Angebote und Gesuche mit Telefonnummer veröffentlicht. So läßt sich schnell eruieren, wer Fernseher repariert, einen Babysitter braucht oder beim Umzug helfen könnte. „Das ganze ist natürlich Vertrauenssache“, räumt Tidenkönig Sachs ein. Doch ihm ist kein Fall bekannt, in dem jemand den Tauschring zu anderen Zwecken benutzt hätte.

Vertrauenssache ist auch der Glaube an die Qualität der Dienste. Wer nach dem Haarschnitt aussieht wie ein Huhn mit Migräne, wird sich kaum denselben Frisör nochmal ordern. „Das spricht sich rum“, meint Sachs. Der Tauschring jedenfalls haftet nicht, rät jedoch, AnbieterInnen mit wenig Können auf ihrem Gebiet zu Offenheit bei der Offerte und gegebenenfalls zu einem Nachlaß beim Preis, über den die Tauschpartner allein verhandeln.

Sachs will mit dem Tauschring nicht nur alternative Ökonomiemodelle, sondern auch die zunehmend in Vergessenheit geratene Nachbarschaftshilfe wiederbeleben. Lohnend aber wird die Tauschbörse erst, wenn viele Dienstleistungen und Waren zur Disposition stehen. „Ab 100 Leuten wird es richtig interessant“, schätzt Sachs. Zumal, wenn darunter Leute sind, die regelmäßige Dienste anbieten. „Es wäre toll, wenn wir beispielsweise Bauern aus der Erzeuger-Verbrauchergenossenschaft gewinnen könnten.“ Die könnten ErntehelferInnen und andere mit Kartoffeln und Brot versorgen – gegen Tiden versteht sich.

Ein Mitglied darf maximal mit 180 Tiden im Plus oder Minus stehen. Die Kontrolle der Konten erfolgt durch deren Veröffentlichung in der Tauschwatt-Zeitung. Wer also hofft, andere Leute für sich arbeiten lassen zu können, ohne selbst jemals tätig zu werden, hat sich geschnitten. Aber das wäre ja auch eine rein kapitalistische Denkweise. dah