Zeit für Wasserflecken

■ Thalia: Premiere von „Die Kunst der Komödie“

Im Herrgottswinkel flackert überm Kruzifix der Monitor der Überwachungskamera. Schlapp hängt die ausgebleichte italienische Fahne und davor wird mit einiger typisch deutscher Tapferkeit italienisches Theater gespielt. Na, da hätten wir uns beinahe zu Tode gelangweilt, äh, amüsiert, am Sonntag abend, da man im Thalia Die Kunst der Komödie von Eduardo De Filippo (1900-1984) gab.

Ein sehr komisches Stück, so schimmerte auch an diesem Abend in der Regie von Wolf-Dietrich Sprenger manchmal durch. Da verschlägt es den gehobenen Beamten in ein italienisches Nest und als erstem begegnet er dem Theaterdirektor Campese. In der anfangs wohlgesonnenen Plauderei wird dem Präfekten der Künstler schnell lästig: „Ich habe keine Lust ins Theater zu gehen!“ Doch plötzlich schaut der Präfekt nur noch Schauspieler. Denn die lokalen Honorationen, die ihm später die Aufwartung machen: alles Komödianten, die eine für den Präfekten veranstaltete Farce spielen. Zwei Tote beschließen das Drama.

Der neue Präfekt ist Fritz Lichtenhahn, der ja auch schlimmsten Pedanten geradezu sympathische depressiv-melancholische Züge verleihen kann. Und so überstrahlt als alter Herr der Lichtenhahn mit gelichtetem Haar, schlacksig und penibel, gefaßt bis ins Schnurrbarthaar und in Maßen cholerisch, das weitgehend triste Stellungsspiel der Mimen. Mit dem Herrn Theaterdirektor – überaus abgeklärt und weise: Kurt Hübner – verdribbelt der auf Perfektion erpichte Präfekt sich vor der Pause über die Kunst, den Spaß, den Fanatismus und überhaupt. Vereinzelt entladen sich offenbar unbeherrschte Lacher. Sonst ist es meist still. Doch stand ja noch Hoffnung auf die zweite Halbzeit im Raum.

Nach der Pause doch noch einige Turbulenzen: Hans Kremer als Arzt, der Waffengleichheit mit dem wundertätigen Christus-Denkmal auf der Piazza fordert. Ja, es droht ihn fast zu zerreißen, bevor er sich seine Bitte an den neuen Administrator endlich entrungen hat: Er möchte seine Diplome und Dankesschreiben rund um die Haustür nageln dürfen. Und Padre Salvati - ein mittel-prächtig aufgelegter Jörg Holm als dröhnender Don Camillo-Verschnitt mit Gaudimax-Quotient 65 - wringt feuchte Socken aus und läßt unterm schwarzen Rock kokett die langen weißen Unterhosen blitzen. Oh, lustige Verdammnis!

Aber doch, da war noch der Carabinieri Veronesi: der beflissene Axel Olsson als vielbeklatschte devote Knall-Charge. Und die durchgeknallte Lehrerin Lucia Petrella: Toten Phantomen lebender Personen nachhängend und wie in der Schlangengrube windet sich Angelika Thomas. Den Apotheker, Heinz G. Lück, erwischt es tödlich mit Arsen oder so ähnlich. In der Öde der Konversation verliert sich der Blick in den malerischen Wasserflecken an den hohen Wänden von Siegfried E. Mayer.

Die Wucht der dramatischen Wirklichkeit beschert am Ende nochmal den Tod. Dann verbeugt sich das Ensemble und nimmt den lauen Applaus entgegen. Schon aus. Eher endlich. Ein matter Bühnenzauber war vorbeigezogen aus Komödie, Tragödie, Theater, Wirklichkeit, Hilflosigkeit, so oder so. Keine Zeit für Lustigkeiten.

Petra Möbel