Bei S-Lauten zischelnd

■ Eckhard Henscheid bot Sprachkunst im Literaturhaus

Nein, die Titanic-Fraktion war nicht da am Donnerstag abend im Hamburger Literaturhaus, als Eckhard Henscheid las aus der Idylle Maria Schnee und dann noch ein bißchen was anderes, überraschend monoton las, gar nicht saftig-kräftig, wie man es hätte denken können vom Ansehen seiner Porträtaufnahmen her, überhaupt nicht schauspielermäßig, den Blick ganz aufs Manuskript geheftet, nur ganz selten, vielleicht nur zwei-, dreimal die gesamten 90 oder 100 oder auch 110 Minuten das Gelesene mit einer Geste begleitend, nuschelnd, bei S-Lauten zischelnd, dabei die Endsilben aber nicht verschluckend, sondern sie auskostend, als ob er sie schmeckte, das Lesen ein sanftes Heben und Senken, ein gleichmäßiger, ruhig trabender Fluß, ganz eingesponnen in die schlingernden-schlängelnden Endlossätze dieser mäandernden Beschreibungsprosa mit den vielen Adjektiven.

Statt dessen schlug das Zuschauerpendel bei Henscheid, dem Grenzgänger zwischen Hoch- und Popularliteratur, zwischen Prosa und Polemik, an diesem Tag zugunsten des Literarischen aus. Brigitte Kronauer gab ihm mit einer fein gedachten, fein formulierten Einführung den Adelsschlag des Künstlers. Die folgende Lesung hinterließ dann vor allem einen Eindruck: daß Henscheid bei vergleichsweise banalen Anlässen gleichsam mit literarisch-poetischen Mitteln überreagiert. Egal, ob der Erzähler auf den ersten Seiten von Maria Schnee die Wirtin und ältere Dame Fräulein Anni aufs genaueste in den Blick nimmt oder in der Hymne auf Bum Kun Cha selbigen koreanischen Fußballspieler im hohen Ton eines Preisgedichts besingt: Beim Hören schieben sich die Mittel auffällig in den Vordergrund – und wirken, nun ja, eitel.

Natürlich, das alles ist schon toll gemacht, schön ziseliert, mit hintergründiger oder auch vordergründiger Ironie. Aber wo bleiben die Gegenstände? Sind sie Henscheid tatsächlich wichtig? Oder nur Anlässe für eine in sich selbst kreisende, sich hochschraubende und dabei leerlaufende literarische Meisterschaft? Das sind so Fragen. Antworten vielleicht zur nächsten Lesung. Dirk Knipphals