Ein öffentliches Bedürfnis

■ Die Erlöse eines neuen Umwelt-Lottos sollen Umwelt und Entwicklung fördern. Die Zulassungsbehören mauern und sehen ihre eigenen Lottopfründen in Gefahr

Brunnengrabungen in der Dritten Welt, Naturschutzprojekte oder neue Biotope, finanziert mit Lottogeldern – ist das in Deutschland bald keine Zukunftsmusik mehr? Über Sein oder Nichtsein einer bundesweiten Umweltlotterie ist noch nicht endgültig entschieden. Nachdem die Länder im November vergangenen Jahres eine Absage erteilt hatten, haben die Initiatoren Widerspruch eingelegt. Sie stellten nun Anträge für ein Umweltlotto auf Landesebene, etwa in Niedersachen und Sachsen-Anhalt. Seit 1993 schon versucht die „Arbeitsgemeinschaft neue Bundeslotterie für Umwelt und Entwicklung“, ein Zusammenschluß von zehn großen Verbänden, wie Greenpeace, BUND, WWF und Unicef, ein solches Glücksspiel zu initiieren, dessen Erträge in Umwelt- und Entwicklungsprojekte fließen sollen.

Derzeit kommen rund 20 Prozent vom staatlichen Lottokuchen gemeinnützigen Zwecken zugute. Während bislang Wohlfahrts- und Sportverbände von den Lottoerlösen profitieren, fließen in den Bereich Umwelt und Entwicklung nach Angaben der Arbeitgemeinschaft gerade mal 2,5 Prozent der Erträge. „Doch dies sind die großen gesellschaftlichen Themen unserer Zeit“, sagt Stephan Cremer, Projektleiter der Arbeitsgemeinschaft in Liederbach. „Deshalb sollten die Verbände endlich auch die Chance haben, über eine Lotterie Mittel für ihre Aufgaben zu bekommen“ – gerade angesichts der gähnend leeren Staatskassen.

Mit dem Öko-Lotto wollen die Initiatoren nicht nur neue finanzielle Quellen für ihre Arbeit erschließen, sondern gleich auch noch eine neue Klientel mobilisieren: Menschen, die sich sonst eben nicht so sehr für Umweltfragen und Entwicklungshilfe interessieren, will man mit einer Glückschance locken. Cremer: „Wir wollen raus aus dem Öko-Ghetto.“

Entsprechend verlockend ist die Spielidee. Die Losnummer ist eine Kombination aus individueller Zahlenfolge und der Postleitzahl, ausgelost wird via TV. Maximaler Gewinn: eine Million Mark. Doch Glück hat nicht nur derjenige, dessen Losnummer gezogen wird. Glück haben auch alle Mitspieler, die in derselben Straße desselben Postleitzahlengebietes wohnen: Sie bekommen 1.000 Mark. Lotto als lokales Happening – diese Idee will der Verbreitung des Umweltschutzgedankens einen neuen Kick geben.

40 Prozent der Gewinne der neuen Lotterie sollen in Umwelt- und Entwicklungsprojekte fließen. Mehr als ein Drittel davon erhalten kleine Projekte außerhalb der Verbände – vom Verein zur Betreuung von Biberfamilien bis zu bildungspolitischen Projekten in den Entwicklungsländern. Den Rest bekommen die großen Organisationen. Über die Vergabe soll eine Trägerstiftung des neuen Lottos entscheiden. „Vor allem wollen wir transparent machen, wohin die Gelder fließen und warum“, erläutert Projektleiter Cremer. „Darüber wollen wir dann in unterhaltsamen Sendungen und Broschüren detailliert Rechenschaft ablegen.“

Das Konzept dazu stammt aus Holland, wo es bereits seit fünf Jahren erfolgreich erprobt wird: Mehr als 700 Millionen Gulden sind inzwischen für Umwelt- und Entwicklungsprojekte zusammengekommen. Fast jeder zweite Haushalt tippt dort schon beim Öko-Lotto.

Die Arbeitsgemeinschaft sieht alle Voraussetzungen für ihre Zulassung in Deutschland erfüllt: Die Ziele seien gemeinnützig, die Mittelvergabe sei nachprüfbar, die Gewinner würden öffentlich ermittelt. Zudem gehe die neue Lotterie nicht auf Kosten der anderen Lotto-Anbieter. Das zumindest legt das niederländische Vorbild nahe. Dort nämlich stiegen seit der Einführung des Öko-Lottos auch die Einnahmen der staatlichen Lotterien.

Kein Wunder also, daß die meisten Parteien in Bonn vehement für die Umweltlotterie plädieren. Nun ist Lotto allerdings Ländersache. Und es geht um viel Geld. 12,2 Milliarden Mark Umsatz machte die Lotto-und-Toto-Branche 1995. Die Finanzminister der Länder kassieren prozentual ihre Anteile. Immerhin 16,66 Prozent Steuern fließen auf diese Weise ins Staatssäckel. Die Verbände haben im Tauziehen um das Öko-Lotto also mit handfesten Interessen zu kämpfen. In den Landesregierungen befürchten nun manche, daß diese Gelder schwinden. Andere sehen die Gefahr, die Zulassung des privaten Umweltlottos könne eine Flut anderer privater Anbieter nach sich ziehen – auch zweifelhafter Provenienz.

Die bundesweite Umweltlotterie ist zunächst an höchstministeriellem Widerstand gescheitert. Ob es den Anträgen für Umweltlotterien in einzelnen Ländern besser ergehen wird, ist fraglich. Eine Reihe rechtlicher Argumente werden gegen die neue Lotterie ins Feld geführt: „Lotteriegelder dürften nicht im Ausland investiert werden, die Kriterien für die Verteilung der Gelder sind nicht ausreichend nachvollziehbar, die Lizenzgebühren an den holländischen Veranstalter widersprechen dem Grundsatz, daß mit Lotterien kein wirtschaftlicher Gewinn gemacht werden darf“, faßt Lydia Hüskens vom Umweltministerium Sachsen-Anhalt zusammen.

Vor allem ist da der Grundsatz vom „hinreichenden öffentlichen Bedürfnis“ aus der Lotterieverordnung von 1937, die noch heute gilt – denn das Lotteriespiel fällt unter das Polizei- und Ordnungsrecht. Lotto darf deshalb den Trieb zum Glückspiel nicht etwa anheizen, sondern lediglich in dem Maße betrieben werden, das unerläßlich ist, um den nun einmal existierenden Spieltrieb des Volks zu befriedigen. „Dieses öffentliche Bedürfnis ist gesättigt“, sagt Karl- Heinz Mönckemeier vom niedersächsischen Innenministerium, „es gibt keine Zuwächse mehr im Lotto.“ Und ohne Bedürfnis keine neue Lotterie.

Nicht nur Stephan Cremer vermutet hinter all diesen Argumenten das Interesse, das „Lotteriemonopol des Staates mit Haken und Ösen zu verteidigen“. Ähnlich sieht es Michael Müller, umweltpolitischer Sprecher der SPD- Fraktion im Bundestag. „Diese Argumente sind alle vorgeschoben. Ich kenne keinen Finanzminister, der den Antrag einer neuen Spielbank in seinem Land ablehnen würde.“

Dabei ist äußerst umstritten, inwiefern der Grundsatz von 1937 heute noch gültig ist. „Das widerspricht dem Verständnis vom mündigen Bürger“, sagt Cremer. „Der Staat sollte lediglich den Rahmen festlegen, damit das Spiel ordnungsgemäß abläuft, sich niemand bereichert und die Gelder gemeinnützigen Zwecken zugute kommen. Den Rest sollte man dem Markt überlassen.“ Die Arbeitsgemeinschaft setzt nun darauf, daß doch noch einzelne Länder zustimmen. Langfristig wäre auch eine Kooperation mehrerer Länder denkbar, um kostendeckend arbeiten zu können.

Zurückhaltend ist man in den Ministerien allerdings bei der Frage, wie die Anträge beschieden werden. In Niedersachsen bastelt man schon an einer Alternative: einem Umweltlotto unter dem Dach der landeseigenen Lottogesellschaft. „Solch ein Umweltlotto wird es in jedem Falle geben“, sagt Wolfgang Jüttner, umweltpolitischer Sprecher der niedersächsischen SPD. Die Entwicklungshilfe freilich bliebe da außen vor.

Indes bleibt die Arbeitsgemeinschaft entschlossen. „Wir haben schon positive Signale von den Genehmigungsbehörden in einigen Ländern bekommen“, sagt Cremer. „Zur Zeit arbeiten wir an konkreten Konzepten für ein Landeslotto. Klein beigeben werden wir da nicht mehr.“ Anja Dilk