Hauptstadt-Chic, Glamour und Glimmer: Mit dem Pilotprojekt „Aufbau-Ost“ der Friedrichstadtpassagen will Berlin in der neuen alten Mitte zur glanzvollen Metropole aufbrechen. Doch der ehrgeizige Vorzeigebau im Herzen der Stadt geht in die Hose. Statt neuem Glanz regiert die Banalität der Gegenwart. Funkelnde Glaspaläste mischen sich mit sozialistischer Plattentristesse. Viele der neuen Bauten stehen gähnend leer. Und das edle Superkaufhaus Galeries Lafayette droht zum simplen Textildiscounter zu muieren Von Rolf Lautenschläger und Uwe Rada

Rücke vor bis zur Friedrichstraße

Am 28. Februar 1996 abends, wenn die Touristen auf Berlins Operettenboulevard „Unter den Linden“ von Baugrube zu Baugrube stolpern, wird in der nahen Friedrichstraße Nummer 76–78 ein roter Teppich ausgerollt. Hinter einem schnittigen Vordach aus Metall, unter silbrigen Deckenleuchtern, auf schwarzpoliertem Granit und hinter Kirschholzcountern werden lächelnde Hostessen Champagner reichen.

Schmale Lichtbänder weisen rund 2.000 Figuren des öffentlichen Lebens den Weg in die Halle unter einer riesigen gläsernen Rotunde, deren Spitze bis über das Dach hinausreicht. Um sie herum schlendert man im Kreis zwischen schicken Regalen und Vitrinen, hört Musik, schleckt und süffelt. Nein, wir befinden uns nicht auf der Stehparty für Designermöbel. Der französiche Mode- und Gourmettempel „Galeries Lafayette“ lädt ein zur „exklusiven Eröffnung der Friedrichstadtpassagen“.

Doch mit dem Hauch von Glamour wird es schon am nächsten Tag vorbei sein. Dann beginnt in Jean Nouvels massigem Glashaus der graue Alltag des Verkaufens. Und den bestimmt ein eher schwindsüchtiges Kundenportemonnaie. Statt distinguierter Kaufhauswelt, statt edlem „KaDeWe- Ost in der attraktivsten Einkaufsstraße der Berliner Mitte“, wie Investor Roland Ernst noch vor kurzem hoffte, bestimmt Mode von der Stange das Sortiment der Galeries Lafayette. Man gibt sich französisch, aber das Konzept entspricht braven Bekleidungshäusern à la Peek & Cloppenburg.

Rund um die gläserne Rotunde stapeln sich auf 23.000 Quadratmeter Bruttogeschoßfläche über vier Geschosse die Hemden, T-Shirts, Pullover und der Marinelook in hellen Warenboxen – neben ein paar Klamotten vom Laufsteg. Anstelle gewagter Kreationen bestimmt das vernünftig Tragbare, statt Dernière crie das Solide von Lacoste, Libre Cours oder Calvin Klein die Verführungsmaschinerie. Man wird das Gefühl nicht los, als wollten die Galeries Lafayette ihre eigene, 100jährige Geschichte im unterentwickelten Berlin wiederholen: 1895 war in Paris am Boulevard Haussmann der „höchst anstößige Gemischtwarenladen“ für die unteren Schichten gegründet worden, der sich nicht scheute, in einem Meer von Stoffen auch Mode für die radfahrende Pariserin anzubieten. Erst im Laufe der Zeit haben sich die Galeries Lafayette in Richtung teure Eleganz entwickelt – Kathedrale des Einkaufs unter der kreisrunden Glaskuppel.

Daß der „Topstandort Friedrichstadtpassagen“, die „künftige Prachtmeile und Hauptschlagader der Hauptstadt“, wie Berlins Werbemanager die Zukunft der Friedrichstraße samt wildem 20er-Jahre-Mythos rauf- und runterbeten, ausgerechnet mit einem textilen Discountmarkt eröffnet, hat Gründe: „Der Heißhunger auf die Mitte“, so die Eigenwerbung, fehlt, die Flaneure wollen nicht so recht schlendern und haben zu wenig Geld in der Tasche.

Die Zonis wollen nicht so richtig schlendern

Die neuen Herren der Friedrichstraße sehen das glasklar: „Weil wir erst am Anfang stehen, müssen wir mit einer breiten Palette werben. Das gehobene Sortiment soll nicht hervorgehoben werden“, analysiert Claude Fabre, Geschäftsführer der Galeries Lafayette, die Verkaufsstrategie. Im Ostteil der Stadt habe man mit „exklusiven Häusern“ derzeit keine Chance. Fabre zeigt aus dem Fenster: „Wie sieht es hier draußen aus?“ fragt er rhetorisch und gibt gleich die Antwort. „Baustellen, eine schlechte Verkehrslage, kein Umfeld – das dauert.“

„Es ist normal, daß eine Straße so anfängt“, kommentiert Fabre die kühnen Verheißungen der megalomanen Hauptstadtplaner, die mit dem Pilotprojekt der „Passagen“ den großen Sprung nach vorn inszenierten. Auf dem Grundstück zwischen der Friedrichstraße und dem Gendarmenmarkt entstanden von 1991 bis 1995 die drei mächtigen Blöcke der Friedrichstadtpassagen mit einer Länge von 260 Metern. Rund 100.000 Quadratmeter Geschäfts- und Büroflächen für satte 1,4 Milliarden Mark wurden hochgezogen. Die monumentale Manier kommt heute selbst dem damaligen Senatsbaudirektor Hans Stimmann gigantisch vor. Sein Geständnis: „Die Großprojekte sprengen nicht nur die Dimension der historischen Parzelle, sondern auch den Maßstab der friedrichstädtischen Blöcke.“

Und mehr noch: Es ist schwer, für diese städtebaulichen Mega-Strukturen solvente Mieter zu finden. Während im Galeries-Lafayette-Glaspalast nachts schon probehalber die Lichter angehen, kommt in die Nachbargebäude, den Monolith von Oswald Mathias Ungers und den expressiven Superblock des US-Architektenteams Pei, Cobb, Freed und Partners, erst langsam Bewegung. Einige Büros werden bezogen, hier und da Geschäfte eingerichtet. Doch die lange, unteridische Einkaufsstraße, die alle drei Bauten verbindet, steht noch leer.

Claude Fabre will indes nicht von der großen Zukunft lassen. Ist der gläserne Kasten mit seinen beiden 37 Meter hohen, futuristischen Glaskegeln und den kreisrunden Verkaufsgalerien als „Einkaufserlebnis erst einmal angenommen“, darf wieder vom Pariser Kaufhaus geträumt werden: Man trifft sich, flaniert, läßt edle Stoffe durch die Hände gleiten und nippt unter der Glaskuppel lässig am Drink. „Die Architektur ist schon da“, sagt Fabre. Ihre Opfer fehlen noch.