■ Ulrich Tukur
: Nostalgisches deutsches Jünglingswunder

Tukur Foto: Ralf Brinkhoff

Ulrich Tukur ist auch ein Liedermacher. Nicht unbedingt erfolgreich, aber ungeheuer charmant. Seine Platte „Tanzpalast“ erschien 1989. „So viele Männer – so wenig Gehirn“ singt er da leicht angerockt und „Melancholie, ich seh in deine schönen Augen“ – wobei die helle Stimme tremoliert, als wär's in den Zwanzigern. Das kann er am besten, und mit Salonstückchen à la „Entschuldigen Sie, meine Dame, Gottfried Schulze ist mein Name“ rettete er vor zwei Jahren denn auch die Berliner Vorstellung seiner sonst recht mäßigen Hamburger Musikklamotte „Blaubarts Orchester“. Aber in erster Linie ist Ulrich Tukur Schauspieler, und seit 1994 gar Mitdirektor der Hamburger Kammerspiele. Vierzig wird er nächstes Jahr und geht optisch noch immer als deutsches Jünglingswunder durch. Ob er im Fernsehen einen Spekulanten spielt oder einen fiesen Kindermörder, ob er gramvoll aussieht oder mopsig – Tukur bleibt ein Sympathieträger, der ewige Wonneproppen, der, so mißraten er auch sei, es doch irgendwann bestimmt noch schaffen wird.

Seine überzeugendste Rolle im Theater war der Schwächling Alwa in Peter Zadeks spektakulärer Inszenierung von Frank Wedekinds „Lulu“. Das war 1988. Im Jahr darauf spielte Tukur, ebenfalls am Hamburger Schauspielhaus, unter Michael Bogdanovs Regie den „Hamlet“. Oh, oh! Extra angereist, stundenlang angestanden, dann vier Stunden auf der Treppe im zweiten Rang gesessen – die Mühe hatte sich nicht gelohnt. Tukur ist eher ein Entertainer denn ein Tragöde. Und ein Nostalgiker. In jedem Fall der beste zeitgenössische Hans-Albers- Interpret. „In meinem Herzen, Schatz“ von H. C. Blumenberg mag 1988 kein Kassenknüller in den Kinos gewesen sein – mit Sehnsucht nach der großen und kleinen Freiheit wurden Liebhaberinnen erstklassig bedient.

Tukurs Offizier in Verhoevens „Mutters Courage“ ist eine kleine, fast resignierte Variante seines leidenschaftlichen SS- Manns Kittel in Peter Zadeks Berliner Inszenierung von Joshua Sobols „Ghetto“ 1985. Beide Male steht Tukur jedoch für die Verführbarkeit der begabten deutschen Jugend. In seinem hübschen, weichen Gesicht mit dem verwegenen kleinen Mund und den hellen Augen spiegelt sich bedingungsloser Gehorsam wie Mut zur Revolution. Er sieht so ungewöhnlich durchschnittlich aus. Vielleicht liegt darin das Geheimnis. Petra Kohse