Soll er – oder soll er nicht?

Nach Henry Maskes unspektakulärer Titelverteidigung gegen Duran Williams wollen alle den Kampf gegen Virgil Hill. Bis auf Maske?  ■ Aus Dortmund Peter Unfried

Wenn die Lichter längst angegangen, eigentlich fast schon wieder am Ausgehen sind, dann droht die Stunde der Leere. Nicht Henry Maske, der Sonntag früh entschwunden war, die neunte Verteidigung seines IBF-Halbschwergewichtstitels zu feiern. Das Zeitverständnis des Boxers, der sich monatelang vorbereitet, endet im Idealfall stets mit der Nacht des Kampfes. Nach einem Sieg wie dem von Maske gegen Duran Williams versucht der Kämpfer, frei aller Lasten, möglichst tief ins Zeitvakuum einzutauchen. „Die Zeit der Entspannung“ nennt Maske das. Das Bewußtsein, daß es weitergeht, will einer, der es überstanden hat, erst langsam wieder an sich heranlassen.

Anders ist das, trotz aller gegenteiliger Beteuerungen, bei den Promotern. So saß also auf einem viel zu kleinen Stuhl im Silbersaal der Dortmunder Westfallenhalle Cedric Kushner und sinnierte über den „größten Fight in der Geschichte des Halbschwergewichts“. Daß der gewichtige Promoter und US-Partner von Maske-Manager Wilfried Sauerland damit kaum den Punktsieg Maskes gegen den Herausforderer Duran Williams (28) meinen konnte, muß jedem klar sein, der ihn gesehen hatte.

Bei all den branchenüblichen Lobeshymnen, die hernach Fight und Herausforderer gesungen wurden: Der Kampf lief genau so, wie man annehmen durfte, daß er laufen würde. Auch wenn Henry Maske hinterher lobte, Williams habe „über eine extrem lange Distanz versucht, das Kampfverhalten an sich zu reißen“. Richtig gerissen hatte der nur eine, die zweite Runde, wo er „ziemlich viel Druck auf den Mann, auf den Körper“ (Williams) machte und Maske im Infight kurzzeitig die Kontrolle verlor. Es war die einzige Runde, die klar an den bis Samstag ungeschlagenen Williams ging. Ab Runde fünf wurde aus den Einzelsequenzen ein ganzes, ein bekanntes Bild: Der Distanzboxer Maske hatte dem Kampf seine Regie und Williams seinen Willen aufgezwungen. „Mein Problem war, die Rechte kam einfach nicht“, klagte Williams. Es war ein Problem, doch nicht sein einziges: Taktische Varianten hatte der Jamaikaner keine, und zwar gute Physis, doch nicht die Kondition, den Größennachteil durch verstärkte Wühlaktivitäten auszugleichen.

Die Frage nach dem Ausgang des Kampfes ward von den Punktrichtern eindeutig beantwortet, die nach Maskes boxerischer Zukunft ist schwieriger. Es gab Indizien: das häufige Halten des Gegners, die, selbst im Vergleich zu Maske- Kämpfen, extrem wenigen klaren, schweren Treffer. „Es ist nicht unbedingt eine Frage der Physis“, sagt Maske. Im Profigeschäft war der Amateur-Olympiasieger, weil er erst 26jährig einstieg, lange ein junger Mann. Doch nach 113 WM- Runden in drei Jahren ist selbst der zeitweilige Super-Profi im Zeitraffer gealtert.

Nicht alles, aber vieles ist in der Wirklichkeit des Ringes eine Frage des Kopfes, genauer: des Willens. Wann er den nicht mehr hat? Trainer Manfred Wolke immerhin hat gesagt, es werde „schwieriger“. Maske habe aber „immer noch die Fähigkeiten, Problemsituationen zu bereinigen“. Am Samstag allerdings schienen es, mit allem Vorbehalt, eher Problemchen-Situationen.

Die Frage ist: Kann der ungeschlagene Maske (29 Kämpfe, 29 Siege) sich und das Geschäft „ehrenhaft“ ins Ziel retten? Die Westfalenhalle war ausverkauft und hätte 20.000 Plätze haben können. Bei RTL haben, obwohl „der Gegner nicht den Namen hatte“ (Wolke), 15,1 Millionen Menschen zusehen wollen. Was bedeutet: Das Geschäft läuft, auch jenseits des hysterischen vergangenen Jahres, immer noch auf einem sehr hohen Niveau.

Doch sind zwei Sachen zu bedenken: In der Halle herrschte business as usual, alles ging seinen Gang. Die großen Gefühle aber halten die Sache am Laufen. Und die großen Geschäfte. Die richtig großen. Während Sauerland ein emotionaler Freund seiner Boxer ist, sagt Kushner: „Ich bin Geschäftsmann“. Freundlich, aber bestimmt sagt er das. Er macht das Geschäft, „wo das meiste Geld ist“.

Das meiste Geld ist zu holen mit Virgil Hill. Hill ist 32 wie Maske, und nach einem zeitweiligen Titelverlust nun bei neun WBA-Titelverteidigungen in Folge angelangt – wie Maske. Und wie es sich trifft: Die Geschäfte des WBA-Weltmeisters macht neuerdings wieder Cedric Kushner! Am 20. April verteidigt Hill seinen Titel, danach steht noch eine Pflichtverteidigung an – und dann? Wilfried Sauerland will warten, bis „ein paar Wochen ins Land gezogen“ sind und sein Weltmeister ein Lebenszeichen gibt. Ist das positiv, könnte er für den Mai einen passenden Gegner aussuchen, um im September/Oktober im mutmaßlich allerletzten Kampf Hill zu stellen.

Das wäre die optimale Dramaturgie. Samstag schaut Sauerland wegen der Botha-Verhandlung eh bei der IBF in New Jersey vorbei, da wird er auch das Hill-Management treffen. Das Problem bisher: Virgil Hill möchte drei Millionen Dollar. „Er kann sagen, wieviel er will“, sagt aber Kushner, „ich werde ihm sagen, was wir uns leisten können.“ Der Kampf wäre selbst in den USA eine Art Ereignis. Es hilft also nichts: Von zwei Großen muß einer kleiner werden. Womöglich Maske?

„Wenn ich sehe“, hat Trainer Wolke versprochen, „der hat Substanz verloren, sage ich: Henny, es war eine schöne Zeit, ade!“ Bisher hat er es nicht gesagt. Andererseits: wird er von Sauerland bezahlt. Dem Maske, der Geld genug verdient, werden nun alle sagen, es handele sich um eine Ehrensache. Die Frage wird also sein: Glaubt er, daß er muß, um Schmeling zu werden? Oder ahnt er, daß er's darum besser bleiben lassen sollte?