Fronarbeit im Hessischen

■ Arbeitsverträge eines Druckereibesitzers in Kelkheim setzen mit Zusatzklauseln Tarifvereinbarungen außer Kraft. Bis zu 20 unbezahlte Überstunden im Monat

Kelkheim (taz) – Wirtschaftskrise und steigende Arbeitslosigkeit machen es möglich. Vom Recht auf Lohnfortzahlung bis zum Urlaubsgeld – in Jahrzehnten erkämpfte Rechte werden tabulos in Frage gestellt. Firmenbesitzer von Berlin bis München machen sich die allgemeine Angst um die Arbeitsplätze zunutze und treiben es noch weiter. Mit Tricks und Täuschungsmanövern handeln sie Arbeitsverträge aus, die tarifrechtlich zweifelhaft sind. Ein besonders eklatantes Beispiel für diese in der Metall- und Druckindustrie immer beliebteren Machenschaften kommt aus dem Hessischen. Die Kelkheimer Druckerei „blei&guba“ ist besonders einfallsreich in puncto Zusatzvereinbarungen.

Wolfgang B. arbeitet seit April 1994 als Drucker bei der südhessischen Druckerei „blei&guba“. Laut Tarif müßte er pro Stunde mindestens 28,33 Mark erhalten. Das entspricht der siebten Lohngruppe in der Druckindustrie. Laut Arbeitsvertrag verdient der 43jährige aber für seine Leistungen (Bleisatz, Schriftsatz, Bildschirmkorrekturen) 20 Prozent weniger, genau 23,86 Mark. Damit behandelt ihn das Unternehmen wie eine bessere Aushilfskraft, der nur die fünfte Tarifgruppe zusteht.

Ohne es bisher gewußt zu haben, verzichtet Wolfgang B. durch bewußte Einordnung in die falsche Tarifgruppe mehr oder weniger freiwillig – denn er hatte sich ja mit dem Arbeitsvertrag damals einverstanden erklärt – auf fast 920 DM im Monat. Damit nicht genug: Vom Arbeitgeber Adolf Guba unter Druck gesetzt, andernfalls seinen Job zu verlieren, hat Wolfgang B. sich beinahe auch auf einen faulen Handel über die Zahl der Wochenstunden eingelassen. Seit April 1995 gilt in der Druckindustrie die 35-Stunden-Woche. Wolfgang B. hätte unterschreiben sollen, daß für ihn weiterhin die 37-Stunden-Woche gilt – ohne vollen Lohnausgleich.

IG-Medien-Sprecher Jörg Jungmann von der Regionalstelle Wiesbaden spricht von „tariflichem Massenbetrug bei blei&guba“ und zitiert aus einem anderen Vertrag derselben Firma: „Ein Freizeitausgleich auf die tarifliche Wochenarbeitszeit von 35 Stunden erfolgt nicht. Es bleibt bei der effektiven Entlohnung. Mit anderen Worten, die Leute arbeiten weiterhin 37 Stunden – zwei Stunden wöchentlich allerdings umsonst!“ Rechnete man diese insgesamt acht unvergüteten Arbeitsstunden zum monatlichen Minuskonto von Herrn B. hinzu, erhöhte sich (wenn er unterschrieben hätte) sein persönlicher Verdienstausfall von 920 Mark auf knapp 1.030 Mark brutto.

Mit welchen Methoden die Firma „blei&guba“ Tarife killt, beweist eine weitere, ebenfalls häufig anzutreffende Zusatzvereinbarung: Da heißt es für Herrn B., der auch diese Klausel unterzeichnet hat: „Im vereinbarten Gehalt sind bis zu 20 Überstunden monatlich enthalten.“ Mal zwölf genommen ergibt das 240 Überstunden im Jahr, für die niemand bezahlt. Summa summarum: Herrn B.s Portemonnaie weist ein monatliches Loch von insgesamt bis zu 1.446 Mark brutto auf.

Der taz liegen Kopien der entsprechenden Unterlagen vor. Der Wiesbadener IG Medien sind aus dem Betrieb mehrere Beispiele dieser Art bekannt. Hessenweit könne die Gewerkschaft auf Anhieb eine Handvoll Unternehmen nennen, die ähnlich handeln. Bei „blei&guba“, kommentiert Jörg Jungmann, könne ohne Not – das Unternehmen schwimme derzeit in Aufträgen – faktisch jeder Angestellte „in den Genuß von Fronarbeit kommen“. Die Klausel sei unzulässig und sittenwidrig. Die Gewerkschaft jedoch ist relativ machtlos, solange die Betroffenen zuviel Angst hätten, arbeitsrechtliche Schritte einzuleiten. Doch die Nachfrage an Drucker-personal hält sich im Rhein- Main-Gebiet in Grenzen.

Ein Betriebsrat wurde erst vor wenigen Monaten installiert und habe daher einen schwachen Stand, sagt Jörg Jungmann. Druckereibesitzer Adolf Guba, dessen Anzeigenblatt Kelkheimer Zeitung im relativ großzügig angelegten Redaktionsteil sehr offen für schwarz-gelbe Politik wirbt, habe im Moment leichtes Spiel. Das werde sich früher oder später ändern. Jetzt komme es darauf an, erklärt Jungmann, den vielen Mitarbeitern von „blei&guba“, die sich bei der IG Medien anonym gemeldet hätten, klarzumachen, daß sie nur mit Druck etwas erreichen könnten. Er hoffe, daß bei der Firma bald ein anderer Wind wehen werde.

Jungmann: „Was die Belegschaft noch bei dem Herrn der Walzen hält, ist die hoffnungslose Lage auf dem Arbeitsmarkt.“ Guba wollte sich zu den Vorwürfen der IG Medien nicht äußern. Die „Sache“, so wörtlich, sei eine rein betriebsinterne Angelegenheit. Das Interesse der Öffentlichkeit daran sei ihm „egal“.

Auch in anderen Bundesländern haben Unternehmer versucht, unredliche Tarifverträge oder kostenlose Überstunden zu erpressen. Beim Batterienhersteller „VARTA“ im nordrhein-westfälischen Hagen war vor Monaten sogar der gesamte amerikanische Vorstand eingeflogen, um mit der Verlegung des Produktionsstandortes zu drohen, sollten die Mitarbeiter nicht willig sein. Mehr Stromstärke bewies am Ende allerdings der Betriebsrat.

Die erfolgsverwöhnte Druckerei „Herlitz“ jedoch mußte vor ein paar Wochen den Schwanz kleinlaut einziehen. Sie wollte den eigenen Leuten einen Batzen kostenloser Wochenüberstunden abtrotzen und handelte sich dafür eine Lawine negativer Schlagzeilen ein. Franco Foraci