Jenseits der goldenen Jahre

■ "Was sollte ich bereuen?" - Der Regisseur Elia Kazan erhielt den Goldenen Bären für sein Lebenswerk. Ein Gespräch über Schauspieler, die Türkei und die KP

taz: Herr Kazan, obwohl Sie von den 40er bis zu den 60er Jahren als Theaterregisseur am Broadway und als Filmemacher in Hollywood immens erfolgreich waren, haben Sie sich immer als Außenseiter verstanden. Fühlten Sie sich als griechischer Emigrant in Amerika falsch verstanden?

Elia Kazan: Es ist richtig. Ich habe mich immer als Außenseiter gefühlt. Dies rührt allerdings weniger von meiner anatolisch-griechischen Herkunft her, der sogar ein kleiner Schuß armenisches Blut durch meine Großmutter beigemischt wurde, als durch die Tatsache, daß ich bei Intendanten und Studiobossen immer besonders hart für die Durchsetzung meiner künstlerischen Ziele kämpfen mußte. Das Method-Acting war für die meisten Filmproduzenten ein Greuel. Es hat sehr lange gedauert, bis sie verstanden haben, daß sich ein Schauspieler nicht äußerlich einer Rolle nähern muß, sondern von innen. Wir hatten damals eine Reihe guter englischer Schauspieler in Hollywood, die ihre Rollen allerdings wie einen Mantel an- und auszogen. Mit solchen Leuten konnte ich nicht arbeiten. Deswegen habe ich auf neue Gesichter gesetzt.

Welche Ihrer zahlreichen Neuentdeckungen halten Sie für die wichtigste? Marlon Brando? Oder James Dean?

Es wird Sie vielleicht wundern, aber es ist keiner von den beiden. Meine persönlichen Favoriten sind Karl Malden und Eli Wallach, die beide „Baby Doll“ vor der Belanglosigkeit gerettet haben. Es sind eher unscheinbare Typen, aber sie haben das Method-Acting nahezu perfektioniert – sie gehören noch heute zu meinen besten Freunden. Natürlich ist Marlon Brando auch ein hervorragender Schauspieler. Wir haben beide solange gut zusammengearbeitet, wie er auf meine Ratschläge gehört hat. Seine autonomen Bestrebungen haben ihn schauspielerisch dann eher etwas geschwächt.

Ihren Worten entnehme ich, daß Sie „Baby Doll“ gar nicht so besonders schätzen ... Hatten Sie keinen Einfluß auf die Auswahl des Films bei der Bären-Preisverleihung im Zoo-Palast?

Nein. Die Festivalleitung wollte „Baby Doll“ zeigen, und ich habe mir gedacht: „Gut, es ist ihr Festival.“ Ich hätte lieber „Viva Zapata“, „America, America“ oder „Wild River“ gezeigt. Das sind meine Lieblingsfilme. „Baby Doll“ ist aus heutiger Sicht betrachtet nur ein Skandalfilm, der durch hervorragende schauspielerische Leistungen erträglich wird. Hiermit schließe ich Carroll Baker ein. Ich will Ihnen ein Geheimnis verraten: Tennessee Williams mochte sein eigenes Drehbuch nicht besonders. Für ihn war es nur eine Mixtur aus diversen alten Stücken von mir.

„America, America“ ist ihr schönster und persönlichster Film. War es schwierig, Hollywood für die Geschichte der Armenier und Griechen, die in den 10er Jahren vor der Unterdrückung durch die Türken fliehen, zu begeistern?

Begeistert waren die Herren schon. Viele sagten mir, daß sie meinen Roman, der die Grundlage für das Drehbuch war, sehr schätzten. Nur finanzieren wollten sie „America, America“ nicht. Also mußte ich einen Teil meines eigenen Vermögens locker machen. Obwohl der Film für vier Oscars nominiert wurde, haben die Amerikaner nicht viel für ihn getan. In Europa war die Kritiker- und Zuschauerresonanz viel größer. Ich liebe den Film deshalb so besonders, weil es mir meiner Ansicht nach gelungen ist, in ihm natürlich agierende Menschen zu zeigen, die man sonst im Kino nur sehr selten sieht. Allen voran natürlich der Hauptdarsteller Stathis Giallelis, der den Charakterwandel des Protagonisten äußerst glaubwürdig darstellte. Ihm hatte ich damals eine große Karriere prophezeit. Leider wurde daraus nichts.

Wie reagierte die türkische Regierung damals auf den Film? Die Türkei hat die historische Tatsache des Völkermordes an den Armeniern ja bis heute nicht eingestanden. Und bereits in den 30er Jahren kam eine geplante amerikanische Verfilmung von Werfels „Die vierzig Tage des Musa Dagh“ aufgrund türkischer Intervention nicht zustande. Wurde auch auf Sie Druck ausgeübt?

Nein, die damalige türkische Regierung hat sich bei der Planung von „America, America“ und auch während der Dreharbeiten vollkommen rausgehalten. Auch später hörte ich nichts von ihr. Dafür bekam ich von privater Seite aus der Türkei zwei oder drei Morddrohungen, was ich sehr traurig fand. Wissen Sie, ich bezeichne mich immer als Anatolier und spreche besser Türkisch als Griechisch. Heute habe ich sehr guten Kontakt zu vielen türkischen Jungregisseuren. „America, America“ verteufelt die Türken nicht. Er zeigt aber, welche Ungerechtigkeiten Armeniern und Griechen von türkischer Seite zugefügt wurden.

Sie kamen Ende der 30er Jahre durch den russischen Regisseur Anatole Litvak, der vor den Nazis aus Deutschland über Frankreich nach Amerika geflohen war, zum Film. Hat er Ihre Arbeit beeinflußt?

Litvak war gern in Hollywood und hatte immer schöne Frauen an seiner Seite. Auf diese Art und Weise hat er mich beeinflußt. Nein, im Ernst: Er war ein großer Stilist und hat ja Anfang der 50er Jahre mit dem in Deutschland gedrehten Spionage-Drama „Decision Before Dawn“ den ersten neorealistischen Hollywood-Film gemacht. Ich verdanke Litvak einiges: 1940 durfte ich in seiner „City for Conquest“ eine Nebenrolle spielen – und so kam ich zum Film. Stilistisch beeinflußten mich aber eher die Werke eines anderen Russen: der majestätische, aber niemals zu pompös aufgetragene Bilderfluß von Dovschenko.

Kommen wir zum sogenannten „schwarzen Punkt“ Ihrer Karriere. 1952, als die Kommunistenhetze McCarthys ihren Höhepunkt erreicht hatte, sagten Sie vor dem Unamerican Activities Committee aus. Bereuen Sie das rückblickend?

Meine ehrliche Antwort: Nein. Was sollte ich bereuen? Als junger Mensch glaubte ich an den Kommunismus und war in der amerikanischen KP. Doch ich sah, daß der real existierende Sozialismus der Ostblockstaaten die Menschen genauso unterdrückte wie die Nazis. Stalin und Hitler sind für mich beide Verbrecher. Ich trat sogar aus der Partei aus. Und als mich das Komitee 1952 befragte, nannte ich – teilweise sogar mit deren Zustimmung – nur die Namen meiner ehemaligen Parteigenossen. Viele Kritiker haben meinen 1954 entstandenen Film „On the Waterfront“ als Verteidigung meiner Aussage und meiner Weltanschauung verstanden. Was die Weltanschauung angeht, haben Sie recht: Ich habe mich stets für den Antifaschismus und die Wahrung der Rechte des Individuums engagiert, aber dem Kommunismus habe ich längst abgeschworen.

Seit „The Last Tycoon“ aus dem Jahr 1976 haben Sie keinen Film mehr gedreht, sondern „nur“ noch nunmehr neun Bücher geschrieben. Würden Sie gern noch einmal einen Film inszenieren?

Nein, um Filme zu machen, braucht man viel Kraft, fast die eines wilden Tieres. Die habe ich nicht mehr. Ich bin ein 86 Jahre alter Mann. Bücherschreiben ist meiner Lebenskraft angemessen. Meine goldenen Jahre in Hollywood sind längst vorbei. Früher gab es noch ein viel stärkeres Berufsethos, sowohl beim Drehstab als auch bei den Schauspielern. Sam Spiegel mußte mich 1976 schon überreden, „The Last Tycoon“ zu machen.

Sehen Sie unter den Regisseuren der Nachfolgegeneration jemanden, der dieses Berufsethos hat?

Ich rede nicht gerne über andere Regisseure, aber nicht aus dem Grund, weil ich sie nicht schätze. Aber wenn Sie wollen: Kubrick schätze ich sehr, weil er Bilder schafft, die man nie vergißt. Aber auch er hat lange keinen Film mehr gemacht. Von der jüngeren Generation mag ich am liebsten Martin Scorsese. Er hat viel für mich getan: Die Restauration fast aller meiner Filme wurde durch ihn finanziert. Um offen zu sein: Am heutigen Kino bin ich nicht mehr sonderlich interessiert.

Warum ist Ihre Autobiographie eigentlich nicht in deutscher Sprache erhältlich?

Das frage ich Sie! Viele Bücher wurden von mir in Deutschland veröffentlicht, nur dieses nicht. Dabei ist es meine Art Testament. Wenn Sie etwas für mich tun wollen, schreiben Sie das, damit ich hier einen Verleger finde. Denn besser, als ich dort geschrieben habe, kann ich es Ihnen jetzt auch nicht erzählen. Dennoch muß ich zugeben: Ich habe in meinem Leben viel Glück gehabt. Ich war sozusagen ein Außenseiter, der stets auf der Sonnenseite des Lebens stand. Interview: Marc Hairapetian