Definitiv schwarz

■ Grace Bumbry sang in Paris und Bayreuth. Jetzt besinnt sie sich ihrer Wurzeln und tourt mit Gospels und Spirituals durch Europa. Nur Rap mag sie nicht. Ein Gespräch

taz: Mrs. Bumbry, für viele sind Sie immer noch die „schwarze Venus von Bayreuth“, der „erste schwarze Opernstar“. Stört Sie das?

Grace Bumbry: Ganz im Gegenteil, es freut mich. Jeder Sänger und jede Sängerin bemüht sich um eine Art Aushängeschild. Meines wurde mir von Geburt an mitgegeben. Es ist doch einfach wahr: Ich bin definitiv schwarz, und ich habe damals den Part der Venus im „Tannhäuser“ gesungen. Vielleicht gibt es Menschen, die sich durch so etwas angegriffen fühlen. Ich nicht.

Spirituals und Opernmusik – das sind zwei verschiedene Welten. Finden Sie es schwierig, von der einen in die andere zu wechseln?

Nein. Musikalisch ähneln sich die beiden Formen: Die Stimmführung der europäischen Klassik gleicht zum Beispiel sehr der Stimmführung in den Spirituals. Ich verändere auch meine Stimme überhaupt nicht, es ist die gleiche Gesangstechnik. Beim Gospel ist das allerdings etwas anderes.

Sie weisen immer wieder auf den Unterschied zwischen Gospels und Spirituals hin.

Ja, natürlich. Schließlich sind das zwei ganz verschiedene Sachen. Einer der wichtigsten Gründe für diese Tournee war, daß die meisten Menschen hier in Europa den Unterschied zwischen diesen beiden Arten von Musik nicht kennen. Fast alle der Spirituals wurden von den Schwarzen in Amerika während der Zeit der Sklaverei geschrieben. Sie sind aus dem Stegreif komponiert. Diese Musik ist aus einem Gefühl der Hoffnungslosigkeit entstanden. Nach der Befreiung der Sklaven hat sich die Atmosphäre der Musik geändert. Plötzlich fühlst, denkst, atmest und handelst du wie ein freier Bürger. Gospels sind die viel fröhlicheren Lieder. Sie sind nicht klagend, obwohl es natürlich auch hier traurige Momente gibt.

Mit ihrem Ensemble wollen Sie also Konzerte nicht allein um der Musik willen geben, sondern gleichzeitig eine Einführung in die Geschichte der schwarzen Musik bieten?

Ganz genau. Ich hatte vor einiger Zeit eine ziemlich merkwürdige Begegnung mit einigen italienischen Musikhistorikern, die mir etwas über schwarze Musik erzählen wollten. Ich war damals richtig schockiert: Die wußten fast gar nichts. Diese Wissenschaftler hatten den Kern von dem, worum es in den Spirituals geht, nicht erfaßt. Es reicht einfach nicht aus, zu behaupten, daß Spirituals aus dem Alten Testament und Gospels aus dem Neuen Testament inspiriert werden. Ich fühle mich also ein wenig wie eine Missonarin in eigener Sache. Ich möchte den Menschen die Geschichte der Musik erzählen, die die Grundlage ist für die gesamte spätere schwarze Musik – Blues oder Jazz zum Beispiel.

Hören Sie denn die heutige schwarze Popmusik, Rap etwa?

Ich mag Rap nicht unbedingt. Aber, wissen Sie, Rap ist nun wirklich nichts Neues. Ich habe für mein Programm viele Recherchen angestellt, und dabei auch erfahren, daß es diese Art des Gesangs, die man heute „Rap“ nennt, schon bei unseren Vorfahren in Afrika gab. Was mir überhaupt nicht gefällt, ist dieser militante Rap.

Haben Sie ein politischen Anliegen, wenn Sie ihren Zuhörern etwas über die Geschichte der Schwarzen in den USA erzählen?

Nein. Es geht mir um Kultur – um meine eigene Kultur, um die Kultur meines Volkes und nicht um Politik.

Spirituals sind nicht für professionelle Sänger, sie wurden in Kirchen von Laienchören gesungen. Sie treten nun als Solistin mit einem Ensemble erstklassiger Sänger in großen Konzerthallen auf. Sehen Sie darin einen Widerspruch zu den Wurzeln dieser Musik?

Sicherlich. Spirituals waren ursprünglich eine Form von Gruppenmusik. Mit den Jahren hat sich die Musik und die Art der Darbietung allerdings verändert. Solosänger singen die Stücke mit einem Chor zusammen – wie bei einem klassischen Liederabend, wo der Solist von einem Pianisten begleitet wird. Ich stehe eben in dieser Solokonzert-Tradition. Ich glaube allerdings nicht, daß darin ein Widerspruch liegt. In der deutschen Musiktradition stört sich doch auch niemand an solchen Entwicklungen. „Da unten im Tale“ ist ein altes Volkslied, und niemand regt sich darüber auf, daß es als Kunstlied bearbeitet und in den Kanon der europäischen Klassik aufgenommen wurde. Das ist kein Bruch, sondern eine Fortführung von Traditionen.

Es gibt Kritiker, die Ihnen vorwerfen, Sie hätten sich mit Ihrem „Black Musical Heritage“-Projekt eine Ausgangsbasis für weitere Erfolge im Musikgeschäft sichern wollen, da ihre Opernkarriere beendet sei.

Ich glaube, ich muß mich mit dieser Art von Kritik nicht auseinandersetzen. Ich habe dieses Projekt nicht gestartet, um Geld zu verdienen – sondern mit 75.000 Dollar aus meiner eigenen Tasche unterstützt. Und meine Opernkarriere ist schließlich noch nicht beendet. Auch jetzt, während ich hauptsächlich mit Spirituals und Gospels beschäftigt bin, trete ich in der Oper auf. Beim Publikum scheint das immer noch anzukommen. Interview: Kolja Mensing