piwik no script img

Oh, bitte ruft doch endlich an!

■ Talkradio in Berlin: Moderatoren müssen fast alleine reden

„Kommunikationsagenturen“, meint die Moderatorin, „sind etwas Perverses.“ Man merkt gleich, bei „unserem Sender“, bei „NewsTalk“, haben sie eine Meinung. Dann nimmt die Moderatorin aber schnell ihre Meinung zurück. Weil am Telefon der Chef einer solchen Agentur zugeschaltet ist, der soll ja schließlich ein bißchen Werbung machen. Zudem ist „NewsTalk“ ja auch so etwas wie eine Kommunikationsagentur. Die es gibt, sagt die Moderatorin, weil die Menschen immer einsamer werden, weil überhaupt alles immer kälter wird. Und damit es wieder wärmer wird, muß geredet werden.

U-Bahnen, sind die eigentlich zu dreckig oder sind sie sauber? „Würd' mich interessieren, was Sie meinen“, sagt der Moderator, „rufen Sie an!“ Oder Thema Briefträger: Dürfen die eigentlich später kommen, wenn's schneit? „Interessiert mich echt mal, ruft an!“ Oder Verkehrsschilder – sind die manchmal wirklich blöd plaziert? „Das würden wir gern von Ihnen wissen.“ Ruf an, rufen Sie an, mal geduzt, mal gesiezt. Das ist der NewsTalk-Imperativ.

„3,5 Millionen Reporter“ hatte sich Deutschlands erstes Talkradio auf diese Weise anschleimen wollen. Die sich den ganzen Tag per Telefon melden sollten. Leider haben sich die allermeisten dieser Angestellten zum Nulltarif entschlossen, lieber blau zu machen. So kommt es, daß der gleiche Mirko aus Friedrichshain sich an diesem Nachmittag gleich dreimal zum jeweils drängenden Thema äußert; so kommt es, daß Stunden vergehen, wo, was Mirko drängt, keinen anderen drängt.

Zeit, die gefüllt sein will, mit Moderatorenworten. Denn Musik hat sich „NewsTalk“ von vornherein verboten. Da nimmt es nicht wunder, wenn die Sätze oft mit „Was wollt' ich sagen ...“ anfangen und aufhören mit „... muß ich jetzt mal ganz ehrlich sagen“. Das Ganze hört sich an wie die selbstgemachten Sendungen, die wir als Pubertierende auf Kassette aufnahmen. Die beim Produzieren so profihaft klangen und beim Hören so peinlich. Bislang mußte, wer auf sowas stand, den Offenen Kanal einschalten, jetzt dürfen die Amateure auch bei RTL („NewsTalk“- Haupteigner) üben. Die einzige Qualifikation des Reiseshow-Moderators scheint jedenfalls zu sein, daß er Chef eines Reisebüros ist.

Apropos Werbung. Richtige Spots hat „NewsTalk“ bislang kaum verkauft. So sind die Unterbrecherblocks, die einzig Erholung vom lähmenden Gerede bieten, vollgestopft mit verschenkter Wohltätigkeitswerbung: Aidshilfe, Unicef, Blutspenden. Die erste „echte Werbung“ kommt dann von einer Firma, die zuerst profitieren würde, wäre Talkradio des Mitmachens wert: von der Telekom. Lutz Meier

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen