■ Eine Alternative für „Altindustrien“ à la Vulkan wäre die Verknüpfung ökologischer und industrieller Ziele
: Schiffbau und Politische Ökonomie

Der Zusammenbruch des Vulkan-Konzerns ruft zwei entgegengesetzte Reaktionen hervor: hier der sozialdemokratische Ruf nach Garantien des Staates für die Schiffbau-Industrie, der den spontanen Reflex der bedrohten Belegschaften aufgreift; dort die cool- objektivierende Analyse, daß die „Altindustrie Schiffbau“ angesichts des Kosten- und Preisgefälles zu den asiatischen Konkurrenten hierzulande eh ausgediehnt habe: Was nur mit Subventionen am Leben zu erhalten ist, ist auf Dauer eben nicht zu halten. Ende der Durchsage.

Haben wir nur noch die Wahl zwischen einem durch Globalisierung und Liberalisierung der Märkte immer hoffnungsloseren Staatskapitalismus und der Abdankung der Politik vor den Gesetzen des Weltmarkts? Gerade der Schiffbau, oder besser: die maritime Industrie ist ein Beispiel dafür, daß es zwischen Ökonomismus pur und dem Ruf nach Staatsprotektion noch eine dritte Möglichkeit gibt.

Daß Schiffbau und Meerestechnik traditionsreiche Industriezweige sind, macht sie noch lange nicht zu perspektivlosen „Altindustrien“. Moderner Schiffbau ist Hochtechnologie. Er integriert das ganze Spektrum von Elektronik, Steuerungstechnik, Maschinen- und Anlagenbau. Von der Nachfrageseite her betrachtet spricht vieles dafür, daß das Gewicht der maritimen Industrie im 21. Jahrhundert noch wachsen wird. Verlagerung kontinentaler Transportströme von der Straße auf die Küstenschiffahrt, maritime Klima- und Umweltforschung, Meeresenergie, nachhaltige Nutzung der Nahrungs- und Rohstoffreserven der Meere für eine sprunghaft wachsende Weltbevölkerung sind Zukunftsthemen – auch aus ökologischer Perspektive. Selbst wenn es durch die Verteuerung der Energie- und Transportpreise gelingt, das Wachstum des Welthandels zugunsten regionalisierter Märkte zu begrenzen, wird der interkontinentale Seetransport noch auf lange Zeit eine überragende Rolle für die Weltwirtschaft spielen.

Merkwürdig, daß bisher niemand den Bogen zwischen der Tankerhavarie vor Wales und der Krise des Schiffsbaus in der Bundesrepublik (und ganz Westeuropa) gezogen hat. Heute kreuzen fast 10.000 Öl- und Chemikalientanker über die Weltmeere, die größten fassen über 500.000 Tonnen Rohöl. Einige dieser Ungeheuer sind über 20 Jahre alt. Ihre Stahlhaut ist ganze zwei bis drei Zentimeter stark. Ein Großteil dieser Flotte fährt unter Billigflaggen mit einem Freifahrtschein für Ökokatastrophen. Auch moderne Schiffe gleichen schwimmenden Sondermüllverbrennungsanlagen, deren Dieselmaschinen den letzten zähflüssigen Dreck aus den Raffinerien verfeuern – ohne jede Emissionsbegrenzung. Solche Anlagen dürften an Land in Europa oder den USA keinen Tag mehr betrieben werden.

Gleichzeitig liegen in den Schubladen europäischer Werften fertige Konstruktionspläne für Doppelhüllentanker, energiesparende und umweltverträgliche Antriebssysteme, verbesserte Navigations- und Sicherheitstechnik etc. Auch der Bremer Vulkan hat – gemeinsam mit vier anderen europäischen Werften – einen neuen, ökologisch und sicherheitstechnich verbesserten Tankertyp entworfen. Bloß gebaut wurde keiner, weil die Mehrkosten gegenüber den gängigen Risikomodellen 15 bis 20 Prozent betragen. Was fehlt, sind die politischen Rahmenbedingungen, um solche Entwicklungen „marktfähig“ zu machen. Grenzwerte für Schadstoffemissionen von Seeschiffen, höhere Mineralölsteuern und vor allem ein wirkungsvolles Haftungsrecht, das die Reeder für die Folgen von Unfällen belangt, sind ökologisch dringend geboten. Sie würden zugleich die Erneuerung der Weltschiffahrtsflotte erzwingen und ökologische Innovation im Schiffbau fördern.

Tatsächlich ist die Haupttendenz im internationalen Seeverkehr die ökologische und soziale Deregulierung. Aber diese Entwicklung ist kein ehernes ökonomisches Gesetz: Sie ist politisch gewollt und kann politisch korrigiert werden. Woran es fehlt, ist eine bundespolitische und vor allem eine europäische Strategie, die ökologische und industrielle Ziele für Seetransport, Schiffbau und Meerestechnik verknüpft. Selbstverständlich ersetzen globale Betrachtungen kein Kostenmanagement. Der Fall Vulkan ist ein Paradebeispiel für den Irrtum, fehlende Konkurrenzfähigkeit auf der Kostenseite ließe sich durch Wachstum um jeden Preis kompensieren. Wie bei Daimler wurde die Strategie des „immer größer“ zum Rohrkrepierer, weil die dazugekauften Firmen mehr Verluste als Erträge produzierten und ihre operative Integration nicht gelang. Dieses Kartell war aber nur mit politischer Protektion möglich, vom Bremer Senat bis zur Treuhand im Osten.

Inzwischen sind nicht nur Milliardenverluste angehäuft, die jahrelang mit geschönten Bilanzen kaschiert wurden; auch die Produktionstechnik der Unterweser- Werften ist veraltet. Deshalb ist allein mit dem Abbau von Kapazitäten und Beschäftigung der Weg in die Rentabilität nicht zu schaffen. Gelingt es nicht, die notwendigen Investitionen zu mobilisieren, um die Produktivität sprunghaft zu steigern, haben die alten Werftstandorte keine Chance.

In den letzten 15 Jahren sind die Arbeitsplätze in der westdeutschen Werftindustrie bereits um zwei Drittel geschrumpft. In Ostdeutschland hat sich dieser Aderlaß nach der Wende im Zeitraffer vollzogen. Ohne Industriepolitik mit dem Ziel, die Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit von Schiffbau und Meerestechnik in der Bundesrepublik und Europa zu fördern, gehen nicht nur beim Bremer Vulkan die Lichter aus.

Was lernen wir daraus? „Anpassung an den Weltmarkt“ greift als Antwort auf industrielle Strukturkrisen zu kurz. Gefordert ist die politische Regulierung des Weltmarkts in Form ökologischer und sozialer Mindeststandards. Diese Abhängigkeit von politischer Rückendeckung gilt übrigens für alle Zukunftstechnologien, die gern als Alternativen zu den „Altindustrien“ gehandelt werden: Der Markt für Umwelttechnik hängt ebenso entscheidend von internationalen Normen und den Fortschritten in Richtung Ökosteuern ab wie die Chancen der Solarenergie oder umweltverträglicher Verkehrssysteme. Auch hier entsteht „Zukunft“ nicht einfach im Selbstlauf des Marktes, sondern bedarf politischer Weichenstellungen. Weltmarkt pur gefährdet die sozialen Grundlagen der Demokratie und provoziert den immer lauter werdenden Ruf nach nationalem (oder westeuropäischen) Protektionismus. Ralf Fücks