„Die Aufteilung muß gerecht sein“

■ Gerhard Glogowski, SPD-Innenminister von Niedersachsen, zum Streit um Aussiedler

taz: Sie sagen, „die Mehrzahl der Rußlanddeutschen hat keine deutsche Überlieferung mehr“. Warum ziehen Sie über Aussiedler in populistischer Manier her?

Gerhard Glogowski: Es ist doch so, daß wir zunehmend Integrationsprobleme bei den Aussiedlern in der gesamten Bundesrepublik haben. Dieses Thema gehört auf die Tagesordnung!

Mit Sprüchen, so holzschnittartig wie von den „Republikanern“?

Nein. Wir müssen zu einer vernünftigen Verteilung der Aussiedler kommen. Die sollen nicht frei wählen können, wo sie wohnen. Sie müssen Gemeinden zugewiesen werden. Wenn sie dort nicht den Wohnsitz nehmen, muß man ihnen die Sozialhilfe streichen. Aussiedler sind doch fast alle arbeitslos und auf staatliche Hilfe angewiesen. Deswegen müssen die Länder gleichmäßig mit ihnen belastet werden.

Um dies zu ereichen, schüren Sie die Anti-Aussiedler-Stimmung?

Das tue ich nicht. Aber ich habe hier in Niedersachsen Gemeinden mit 20 Prozent Aussiedler-Anteil, die überwiegend kein Deutsch sprechen. Wenn ich das nicht beschränken kann, bilden sich hier Slums, Ghettos. Kriminalität und Gewalt steigen. Das ist dramatisch.

Sozialpolitische Probleme rechtfertigen es also, Angst vor Aussiedlern zu streuen?

Nein. Aber können wir 220.000 neue Leute pro Jahr verkraften, die kein Deutsch sprechen? Sie müssen ja nicht in Rußland bleiben. Ich fordere aber, daß sie Deutsch gelernt haben, bevor sie kommen. Alle Deutschstämmigen haben einen Rechtsanspruch zu kommen. Doch obgleich der Bund finanziell für sie aufkommen müßte, da es sich um eine sogenannte Kriegsfolgenleistung handelt, zahlen die Gemeinden die Sozialhilfe. Deswegen halte ich es für nicht verträglich, daß pro Jahr 220.000 Menschen herkommen.

Wie viele wären akzeptabel?

Ich kann das nicht sagen. Besser wäre es, es gelänge ihnen, in Rußland mit deutscher Hilfe eine langfristige Existenz zu sichern. Wenn sie herkommen, sind wir aber verpflichtet, ihre Integrationen in geordnete Bahnen zu lenken.

Weil es mißlingt, fordern Ihre Parteigenossen, die Grenzen auch für Aussiedler dichtzumachen?

Es bringt nichts zu sagen: „Wir haben eine hohe Arbeitslosigkeit, deswegen dürft ihr nicht mehr kommen.“ Dann wären auf einen Schlag alle vier Millionen Deutschstämmige hier. Die haben unser Wort, daß sie kommen dürfen, allerdings in geordneten Bahnen, und das zieht sich über Jahre hin.

Warum versucht die SPD nicht, Artikel 116 des Grundgesetzes zu reformieren, der besagt, daß sie Deutsche aufgrund ihrer deutschen Abstammung sind?

Der Zug ist längst abgefahren. Da macht die CDU nicht mit. Und trotz einer solchen Reform hätten diese vier Millionen ihren Anspruch. Wenn wir unsere Zusagen nicht einhalten, kommen sie eben als Asylbewerber her. Wir müssen nur sehen, daß wir die Aussiedler nicht zu einer Manövriermasse des Parteienstreits machen.

Vor kurzem beobachteten Sie noch: „Anspruchsmentalität, Aggressivität, Schlendrian...“

Viele wollen sich gar nicht integrieren lassen. Die kommen hierher, fühlen sich als Fremdkörper und werden von uns nicht mehr erreicht. Damit werden unsere Gemeinden nicht fertig. Der Bund muß sich kümmern, der ist für sie schließlich verantwortlich. Annette Rogalla