„Wir haben angegriffen“

■ Markus Mohr, wegen „Mordversuchs“ eingelochter Atomgegner: Es war ein unvergeßliches Ereignis in meinem Leben

taz: Woran denken Sie, wenn Sie den Namen „Brokdorf“ hören?

Markus Mohr: Mir fällt zuerst ein, daß viele Hoffnungen mit dem Namen Brokdorf verknüpft waren, und daß wir dort eine Niederlage kassiert haben.

Wieso eine Niederlage?

Wir wollten den Bau des Atomkraftwerks verhindern und das haben wir nicht geschafft.

Haben Sie ernsthaft geglaubt, der Bau wäre zu verhindern?

Warum hätte ich nicht dran glauben sollen? Wir wollten in Brokdorf ein Zeichen der Gegenmacht setzen und genau deswegen bin ich als einer von hunderttausend da hingegangen. Wir haben angegriffen und verloren. Das heißt aber nicht, daß man es nicht nochmal versuchen sollte.

Wie war Ihnen am 28. Februar zumute angesichts der Bürgerkriegsstimmung?

Wir wollten an diesem Tag angreifen, wir haben die Konfrontation gesucht. Das Ziel war die Besetzung des Baugeländes und die Demonstration gegen die herrschenden Verhältnisse. Deswegen sind wir hingegangen. 100.000 Leute haben an einer illegalen Demonstration teilgenommen. Es war eine breite Bewegung gegen die Sauereien der Atomindustrie und des Staates. Wir waren 300 Schüler an unserer Schule und davon sind 100 hingegangen.

Wie alt waren Sie damals?

Ich bin am Tag vor der Demonstration 19 geworden.

Wie sind Sie eigentlich politisiert worden?

Ich habe an einer Schülerzeitung angefangen. Nach dem schweren Störfall im AKW Brunsbüttel im Sommer 1978 habe ich mich der Bürgerinitiative Unterelbe angeschlossen. Dazu kamen die Krawalle in Bremen, Amsterdam, Zürich, Berlin, die Hausbesetzer- Bewegung. Das habe ich mit Freuden verfolgt.

Für Sie ging der Streß erst nach der Demonstration richtig los? Wann haben Sie erfahren, daß Sie bundesweit gesucht werden?

Als ich verhaftet worden bin.

Und zuvor, als die Geschichte vom Mordversuch durch die „Tagesschau“ ging?

Ich wußte natürlich, daß sie drei Demonstranten suchten und stellvertrend für alle an den Kanthaken nehmen wollten.

Sie dachten aber nicht, daß Sie einer der Gesuchten sein könnten?

Solche Fragen stellt sonst nur der Staatsanwalt. Ich habe nie eine Aussage zu der Frage gemacht, ob ich an der Aktion im Wassergraben beteiligt war. Ich werde auch heute nichts dazu sagen.

Sie sind wegen schwerer Körperverletzung verdonnert worden und waren drei Monate im Knast.

Ich bin nach der Verhaftung erst mal einen Monat im Gefängnis gewesen wegen „versuchten Mordes aus Haß und Rachsucht“. Das war vier Wochen nach der Demonstration. Damals ging es mir ziemlich schlecht. Als ich dann ein Jahr später nach meinem Prozeß nochmal ins Gefängnis gekommen bin, wurde es besser. Ich habe mich nicht mehr als Opfer, sondern als politischer Gefangener gefühlt.

Ein bißchen waren Sie auch der Held von Brokdorf.

Wer redet denn so einen Unsinn? Ich war einer von hunderttausend. Auf meine Rolle als Angeklagter hätte ich gerne verzichtet. Sie haben uns rausgesucht und verknackt. Aber ein Held? Nö!

Es gab damals eine riesige Solidaritätsbewegung für Sie.

Ja, und ich bin all diesen Leuten, die mich unterstützt haben, unendlich dankbar. Es bleibt ein unvergeßliches Ereignis in meinem Leben. Ein Unterpfand und eine Hoffnung, die mich auch heute noch politisch motiviert.

Was sind Sie heute für einer? Machen Sie politisch noch was?

Da könnte ich fünf Stunden lang erzählen, was politische Arbeit für mich ist. Aber das wird die taz-Leser kaum interessieren.

Wer weiß?

Sagen wir so: Ich begreife mich weiterhin als Teil der autonomen Bewegung. Und ich finde es nach wie vor richtig, den herrschenden Verhältnissen in den Arsch zu treten. Im Dezember war ich in Hamburg ein Mitläufer bei der Demonstration gegen die Kriminalisierung der Zeitschrift radikal. 5.000 Bullen konnten nicht verhindern, daß am Schluß ein Polizeimotorrad umgekippt ist.

Die politische Linke ist nach 1989 defensiver geworden, vielleicht auch ehrlicher. Man plappert nicht mehr so ohne weiteres die alten Parolen nach. Da hat sich viel geändert. Auch bei Ihnen?

Ich war schon 1981 sehr unzufrieden mit den gesellschaftlichen Verhältnissen und bin es heute noch sehr viel mehr. Wir leben in ungerechten, in unfreien und in inhumanen Verhältnissen. Ich weiß nicht, was Sie da mit ehrlicheren Positionen meinen.

Daß man etwa im Falle Sarajevos nicht nur die pazifistische Ideologie runterbetet, sondern überlegt, wie man den Menschen helfen kann, wie es Teile der Grünen und der Linken getan haben.

Soll ich jetzt ein Kurzgutachten zu Jugoslawien abgeben? Mit dem Begriff „die Linke“ konnte ich mich nie identifizieren. Daß Teile der Grünen mit der Bundeswehr nach Sarajevo marschieren wollen, ist logisch und klar. Die wollen an die Regierung. Das ist der normale Prozeß der Anpassung.

Die Power der Anti-Atom-Bewegung, wo ist sie geblieben?

Früher war der Widerstand gegen die Atomkraft eine politische Frage. Heute scheint mir das eine praktische Frage zu sein. Praktische Fragen sind nicht unwichtig. Die Atommüll-Transporte nach Gorleben müssen natürlich verhindert werden, und manchmal fällt ja auch ein Strommast um. Der moderne Kapitalismus ist aber vermutlich in der Lage, das Atomprogramm wegzuoptimieren. Das macht ökonomisch keinen Sinn mehr, zumal an jedem Standort von den Nazis bis zu den Grünen alle dagegen sind.

Was machen Sie heute?

Das ist privat und nicht politisch. Das geht nur meine Freundinnen und Freunde etwas an.

Es würde mich interessieren.

Also gut: essen, trinken, schlafen, Sexualität, glücklich sein.