Sechster Anlauf ins Parlament

Schleswig-holsteinische Bündnisgrüne bereiten schon die Koalitionsverhandlungen mit den Sozis vor. Sie sind zuversichtlich, am 24. März den Sprung in den Kieler Landtag zu schaffen  ■ Aus Kiel Kersten Kampe

Für Bündnis 90/Die Grünen in Schleswig-Holstein geht es diesmal um alles. Zum sechsten Mal versucht die Ökopartei am 24. März den Sprung in den Kieler Landtag zu schaffen. Und noch nie sahen die Chancen so gut aus. Die letzte Infas-Umfrage prophezeite den Bündisgrünen satte neun Prozent, vor vier Jahren waren vor der Wahl sechs bis sieben Prozent prognostiziert worden. Doch an 1992 erinnert sich keiner der Grünen gern: Der Einzug galt geschafft, für wenige Stunden waren die Grünen im Jubeltaumel und fielen dann tief, als sich herausstellte, daß der Computer versehentlich die 4,97 Prozent zu vollen fünf aufgerundet hatte. 382 Stimmen fehlten.

Jetzt strotzen die ÖkopolitikerInnen vor Zuversicht. Der einst fundamentalistisch geprägte Landesverband hat sich zum relativ zahmen Tiger mit Machtwillen gewandelt. Bereits früh legten sich die Bündnisgrünen auf eine klare Koalitionsaussage mit der SPD fest. Wenn sie zum ersten Mal im Parlament sitzen, wollen sie auch gleich auf der Regierungsbank Platz nehmen. Und damit ihnen die Basis keine Knebel verpaßt, wurde auch sorgsam bei der Programmdebatte im November darauf geachtet, daß so gut wie nirgends eine Formulierung nach dem Motto, das wird es bei einer grünen Regierungsbeteiligung nicht geben, zu finden ist.

Statt dessen segneten die Delegierten einen Antrag ab, in dem es butterweich heißt: Es gibt für uns weder Bruchpunkte, die bereits vor Verhandlungen herausgestellt werden, noch werden wir uns solche bieten lassen. Deutlich soll aber grünes Profil erkennbar sein. Paradebeispiel ist dafür der Bau der umstrittenen Ostseeautobahn 20: Bündnis 90/Die Grünen werden Planung und Bau dieser Autobahn in Schleswig-Holstein parlamentarisch und außerparlamentarisch nicht mittragen. Daß Ministerpräsidentin Heide Simonis und die SPD-Spitze heftig vor einem rot-grünen Bündnis warnen, erschüttert die Grünen nicht. Denn wie verlautet, gibt es bereits lockere Gespräche, ein gegenseitiges Abchecken auf hoher Ebene.

Das ist auch nötig: Denn landespolitisch sind profilierte Köpfe der Grünen bisher nicht in Erscheinung getreten. So setzt sich die Kandidatenliste aus bewährten KommunalpolitikerInnen zusammen. Auf Platz eins steht mit der Husumer Kreistagsabgeordneten Irene Fröhlich dieselbe Frau wie vor vier Jahren. Es folgen Karl Martin Hentschel aus Heikendorf bei Kiel, Angelika Birk, Frauenbeauftragte in Lübeck, Willi Voigt, Ratsherr in Kiel, Adelheid Winking-Nicolai, Kreistagsabgeordnete im Herzogtum Lauenburg. Inzwischen werden aber die Stimmen lauter, die zur Vorsicht raten. „Das Problem ist, daß wir jetzt große Töne spucken, und gleichwohl weiß jeder, daß die Gefahr groß ist, daß die Sozis uns gnadenlos über den Tisch ziehen können“, räumt der Sprecher des Landesverbandes, Klaus Müller, ein.

Bereits seit einiger Zeit gibt es eine Verhandlungsgruppe für mögliche Koalitionsgespräche, die sich aus den ersten fünf Listenkandidaten, den beiden Bundestagsabgeordneten, Rainder Steenblock und Angelika Beer, zwei Vorstandssprechern sowie dem Kieler Ratsfraktionsgeschäftsführer Nico Sönnichsen zusammensetzt. Und auch Unterstützung für den Fall der Fälle haben sich die Schleswig-Holsteiner geholt, die Hamburger Bürgerschaftsfraktion und Juristen aus der Bonner Bundestagsfraktion stehen bereit.

Auf keinen Fall wollen die Nord-Grünen eine Situation wie in NRW, wo die Grünen gedemütigt und geknechtet werden. Dann lieber ein Nein zur Regierungsmacht, erklärte Müller. Ebenso kommen bei einem eventuellen Einzug der FDP keine parallelen Verhandlungen der SPD mit FDP und Grün in Frage. Für die Bundestagsabgeordnete Angelika Beer ist die FDP sogar der eigentliche Gegner. An Heide Simonis wolle sie sich nicht abkämpfen, die habe einen Stand im Land, den so gut wie nichts erschüttern könne, so Beer.

Eher mißtrauisch macht es die Grünen mit inzwischen 1.863 Mitgliedern in Schleswig-Holstein allerdings, daß sie in den letzten Wochen enormen Zulauf von enttäuschten Sozialdemokraten haben. „Wir begrüßen es immer, wenn Sachverstand zu den Grünen kommt“, erklärt Klaus Müller ironisch. Prominentestes Ex-SPD- Mitglied und nun Grüner ist seit Anfang der Woche der Lübecker Richter Wolfgang Neskovic, der mit seinen Hasch-Urteilen und in dem Zusammenhang mit seinem Plädoyer „Recht auf Rausch“ bundesweit für Schlagzeilen sorgte.