Zwischen den Rillen: Antje Vollmer? Aquarius, Baby!
■ Speech lernt von Marvin Gaye, Jalal schwört auf arabische Muster
Die wenigen Bandmodelle im HipHop sind gescheitert. NWA hatten sich bereits nach dem Erfolg von „Straight Outta Compton“ zerstritten, als mit Gangster-Rap Geld zu machen war. Von DeLa Soul oder den Jungle Brothers sind bloß ein paar kluge Sätze, eine hübsche Melodie übriggeblieben. Selbst Chuck D. denkt in Interviews daran, Public Enemy aufzulösen. Die zur Gruppenbildung gehörigen Ideen von Agitprop und Gegenöffentlichkeit haben sich ebenfalls 1996 verschoben, statt dessen wurde durch Dr. Dre, Cypress Hill und Wu-Tan- Clan Syndikalismus zum Produktionsprinzip erhoben. Die Neighbourhood als günstig gelegener Arbeitsplatz: Jeder hilft jedem, und alle sind für sich selbst verantwortlich.
Auch Arrested Development galten vor zwei Jahren wegen ihres liebenswerten Hangs zu Wahlverwandtschaft und Familiensinn als erfolgversprechend. Mit Hits wie „Tennessee“ oder „Everyday People“ und Videos von einem friedlichen Landkommunenleben entsprachen sie zugleich dem Trend zur Afrozentrik und dem Image niedlicher benettonbunter Pop-Individuen, das ganze mit Drop-out-Brauchtümern wie Feuertänzen und einer Philosophie der edlen Armut unterstützt. Aquarius, Baby! Dann marschierte man institutionsbeflissen nach Woodstock, ließ die Sonne rein, und Speech wurde als rappendes Haupt der Crew fast wie eine Antje Vollmer des HipHop zu Themen wie „Gewalt in den Ghettos“ interviewt, weil es der guten Sache nützt.
Sein Solodebüt steht in der Tradition der family affairs und trägt trotzdem der zunehmenden Individualisierung des Rap Rechnung. Der Pfad führt zum Singer/Songwriter, in jedem Snoop Doggy Dogg steckt ein Steppenwolf. Ganz klassisch ist das Album schmucklos mit dem eigenen Namen „Speech“ betitelt. Dort wimmelt es weiterhin von afrikanischen Stammesbrüdern, Müttern, Vätern und Hippies. Aber wo ihm zuvor die Geschichte der Bürgerbewegung das Mikrophon führte, dominieren jetzt Innerlichkeit, Selbsterfahrung und Sätze wie „Real breath, real love, real sex – filled with real“.
Vom ehemaligen Miles-Davis-Bassisten Foley swingend untermalt und mit ein paar Keyboard-Schnipseln ausgeschmückt, ist jedes Stück auf der Grundlage minimaler Arrangements enorm balladenhaft angelegt – zwei Strophen, ein Refrain und dann die Brücke. Speechs fließende Textarbeit ist mittlerweile so dermaßen singsanghaft und elegant, daß die Stimme in der Hommage auf Marvin Gaye völlig bruchlos in dessen Song „What's going on“ übergeht – ein Sample-Sandwich.
Auf dem Opener „Can U hear me?“ begleitet ihn ein gewisser Pappa Jon, der sich an die alten Zeiten erinnert, als er noch auf Parties rockte und DJ- Frischlingen am Mikrophon aushalf. Heute hat er für den Nachwuchs nur Schelte übrig: „Actin'like a fool ain't you been schooled, you need knowledge and a way of believin' in yoself.“ Dann übernimmt Speech als eifriger Schüler das Thema: „Check out my skills man.“
Da haben sich zwei gefunden, denen bei aller Kunstfertigkeit im Reim die aggressiv vorgetragene Souveränität im Rap dieser Tage davongelaufen ist. An manchen Stellen münden die Schmähreden in sentimentales Bekenntnis, und Speech zählt respektvoll, doch ein wenig ziellos die Gemeinschaft aller Soul-Häupter von James Brown bis Zap Mama und von Prince bis Joni Mitchell auf. Haschrebellen wie Coolio oder der besagte Dre aus L.A. müssen draußen bleiben.
Der Last Poets-Gründer Jalal kommt auf „On the One“ ohne Samples und Credit-Listen aus. Schließlich geht seine Jazz-Poetry zurück in die Zeit der New Yorker Black-Lyric- Workshops anfang der siebziger Jahre. Nicht ohne Stolz bezeichnet er sich als „Grandfather of Rap“. Dieses reife Alter merkt man den Texten an, wenn sich etwa Sätze vom allgegenwärtigen Tod, in Fabeln verkleidet, zur Schöpfungsgeschichte fügen. Zwischen dem Flügelschlag eines Vogels und den Wanderungen des Sängers ist der Unterschied nicht sehr groß. Mag sein, daß die Erde einem Jammertal gleicht, aber letztlich ist alles nur Allahs Wille. Man muß nur den Prophezeihungen folgen, der Rest wird schon (auf dem CD-Cover ist Afrika von hübschen arabischen Ornamenten umrahmt). So bewahrt sich der in England lebende Arzt, Kung-Fu-Meister und gläubige Muslim Jalal eine Gelassenheit, wo die Kollegen aus den USA schon längst zur Pistole gegriffen hätten. Die Absetzbewegung von der Streetculture ist weitaus größer als in den Community-Bekenntnissen eines Speech.
Psychedelisch, aber mit Bodenhaftung: Entsprechend wurde die Platte in Adrian Sherwoods On-U-Sound-Studio von Musikern wie Skip McDonald, Doug Wimbish oder Keith LeBlanc eingespielt, die schon in den siebziger Jahren auf „Rapper's Delight“ recht mannschaftsdienlich die Sugarhill Gang unterstützten. Heute beschränkt man sich auf verflochtene Afro- und Dancefloor- Rhythmen, Dub-Einschübe und asiatische Sounds, zu denen sich der Text mehr als Jazz-Improvisation fügt. Ohne klare Strophenfolgen liegt die Stimme nicht über, sondern neben dem Groove, etwa auf „Griot's Tale“ oder dem seltsam leicht dahinschwebenden „Mortal Passage“, wo der Tod nur als Metapher einer Reise durch die Zeiten herhält. Jalal kommentiert, die Musik trägt das Ganze wie ein weicher Teppich aus dem Orient. Jeder andere Rapper würde bei dieser Art von Swamp-Rap aufgeregt im Flausch versinken. Harald Fricke
Speech: dito (Chrysalis)
Jalal: On the One (EfA)
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