Verruchte Lust am Machismo

■ Von der Hingabe, der Macht und der Melancholie – oder wie Lesben die widersprüchliche Liebe zum Tango entdecken Von Tina Fritsche

Erotik! Aggression! Machismo! Kaum ein Paartanz ist mit solch' heftigen, emotionalen Bildern verknüpft wie der Tango argentino. Und das hat Geschichte. Die Legende berichtet von den Anfängen in argentinischen Hafenspelunken vor rund hundert Jahren, vom Einfluß afrikanischer Elemente in den Tänzen der Sklavinnen. Sie beschreibt, wie bald darauf ein wahres Tangofieber in den europäischen Tanzsälen ausbricht. Sie erzählt vom Verruchten, Verrufenen, das dem Tango anhaftet. Von Hingabe. Von Leidenschaft. Von Macht und Melancholie.

Zwei, die dem Tango hemmungslos verfielen, sind Marga Nagel und Ute Walter, die als Geburtshelferinnen der lesbischen Tangoszene in Hamburg gelten. In zahllosen Kursen vermitteln sie seit zehn Jahren den unendlichen Variationsreichtum von Schritten, Haken und Schlenkern, Stopps und Kicks, die den argentinischen vom Standard-Tango unterscheiden und ihn so sinnlich-aggressiv wirken lassen.

Was aber reizt gerade Lesben am doch so ,machomäßigen' Tango argentino? „Das Spiel mit den Rollen“, lacht Marga. „Lesben wollen nicht nur Verschmelzung und Gleich-Sein“, fügt Ute hinzu, „sondern eben auch Spannung und Grenzen“. Jede, die Tango lernt, legt sich auf eine Rolle fest: die der Geführten oder die der Führenden. Der Gegenpart ist nicht einfach nur das Spiegelbild der eigenen Rolle, das Wechseln will gelernt sein. Rollen- und Machtspiele sind Thema in allen Beziehungen, davon sind Ute und Marga überzeugt. Aber weil Tanzen unvorbelasteter sei als manch' anderer Lebensbereich, sei es hier weit weniger heikel, Rollen auszuleben.

„Um die Rolle empfinden zu können, ziehe ich das Passende an“, erklärt Marga. „Wenn ich auf Stöckeln führe, ist das ganz anderer Tango.“ Und meint damit: ein nicht so schöner. Und so hat sie immer zwei Paar Schuhe dabei. Die braucht Ute nicht. Denn sie bleibt die Führende, „wegen meiner Statur, und weil ich das eben gut kann.“

Die Tango-Leidenschaft spornte die beiden und vier weitere „Tangueras“ dazu an, Tanzräume für Frauen zu erschließen, die traditionell eher von der Hetero-Szene genutzt werden. Resultat: Hamburgs erster Tango-Event exclusiv für Frauen. Weit mehr als hundert vom Tango Faszinierte werden heute abend Quarrées, Boleos und Ochos ausprobieren, auf Ledersohlen über's Parkett gleiten, anderen wißbegierig auf die Beine blicken und sich tragisch-dramatischen Bandoneon-Klängen hingeben. Damit der Abend aber nicht allzu melancholisch gerät, werden auch die lebenslustigeren Varianten der südamerikanischen Musik, Salsa und Merengue, gespielt.

Für Neulinge hat Ute Walter vorgesorgt: Eine Stunde vor Fest-Beginn wird sie zeigen, wie zwei auch schon mit ein paar Tango-Grundschritten eine passable Figur abgeben können. Und sie wird wohl auch erklären, daß Technik nur einen Teil des Tango argentino ausmacht, daß das Gefühl darin und dafür wichtiger sei. Denn Tango erzählt Geschichten. Und die handeln von vergangener Liebe, von verlorenen Freuden. Von Hingabe. Von Leidenschaft. Von Melancholie.

La noche de las tangueras, heute 21.30 Uhr, Studio Gotan, Leverkusener Straße 25/Hinterhof (gegenüber von Nr. 54)/Altona, Eintritt 12.-/15.- DM. Mit Salsa-Performance und Tango-Showeinlage. Einführung 20.30 Uhr