Wand und Boden
: Ei im Regenmantel

■ Kunst in Berlin jetzt: Sam Samore, Robert Gober, Helmut Middendorf

Es mag ein unglücklicher Zufall sein, doch auf keiner der Fotografien von Sam Samore schauen sich die Menschen an. Einige Models starren zu Boden, andere blicken ins Leere oder durch ihr Gegenüber hindurch. Selbst der Betrachter bleibt aus den Situationen ausgeschlossen, die der amerikanische DAAD-Stipendiat in seinen „Allegories of Beauty (Incomplete)“ eingefangen hat. Doch Samore geht es gar nicht um Berührung, der Augenblick ist ihm wichtig. Der Schönheit ist nur mit einer Flüchtigkeit beizukommen, die allein die Kamera mit ihrer kurzen Verschlußzeit gewährleistet. Jeder Maler würde straffen, umformen, dichten; jeder Filmemacher sich seinem Gegenstand erst mit der Zeit nähern. Dagegen sind Samores Fotos von einer sprachlosen Direktheit.

Was sich in den stilisierten Portraits allerdings spiegelt, ist eine Fremdheit, die sich fast zwangsläufig aus der Annäherung im Foto ergibt. Die grobe Körnung löst jedes Gesicht in Unmengen von Bildpunkten auf, in die der abgebildete Moment wieder zerfällt. Dauer ist nur in der Einbildung zu haben, so Samore, dem diese durchaus Lessingsche Idee ein Leitfaden durch alle Kulturen ist: „Was wir an Nofretete schön finden, ist für immer aus dem ursprünglichen Kontext gelöst.“ Statt dessen bleibt ein Schimmern aus der Vergangenheit haften, das nichts mehr über seine Herkunft besagt. Seltsamerweise bestätigt sich der geisterhafte Eindruck bei den durchaus in der Gegenwart angesiedelten Fotos: Obwohl man jedes T-Shirt, jede Jacke und jeden Hemdkragen nach gängigen Marken datieren könnte, rücken die Bilder ständig in der Zeit zurück, erinnern bald an Modeaufnahmen der siebziger Jahre oder Studien von Brassai. Am Ende steht man vor traumhaften Lippen in Cinemascope, die körperlos, doch sehr verführerisch wirken. Zum Hineinküssen.

Bis 24. 3., tgl. 12.30–19 Uhr, Kurfürstenstraße 58

Es dauert ein bißchen, bis man in der Galerie Max Hetzler das Objekt findet. Es ist auf Bodenhöhe in eine Wand eingelassen und hinter einem Kettenvorhang verborgen. Allein das Versteckspiel macht schon einen Großteil der Obszönität aus, die sich bald erschließt. Robert Gobers „Ohne Titel (Boy coming out of man)“ zeigt einen vergilbten Männertorso mit gespreizten Beinstümpfen aus wachsartig glänzendem Plastik, aus dessen After ein Kinderbein hervordringt. Das ganze wird in mattem Orange von der Bauchhöhle her beleuchtet. Der kleine Fuß trägt bereits schmutziggraue Tennissöckchen und eine zerlatschte Sommersandale, ist also von einem wie auch immer sexuell geprägten Fruchtbarkeitsmythos ziemlich weit entfernt. Keine homosexuelle Geburt aus der Wade, keine Männerphantasie, sondern ein vermutlich sehr schmerzlicher Endzustand. Der amerikanische Bildhauer beschäftigt sich mit Ängsten, die vom Unbehagen der Erinnerung herrühren. Der Körper ist ein „umstrittener Ort“, an dem sich Jugenderfahrungen, Psychosen und ähnlich zwanghafte Vorstellungen überlagern. Andere Plastiken von Gober bestehen aus figurativ nachgeformten Männerleibern, in die er Waschbeckenabflüsse montiert hat. Auf einer ebenfalls ausgestellten Zeichnung verbinden sich die Röhren mit vergitterten Gefängnisfenstern. Surrealismus greift hier kaum – was immer im Körper eingesperrt ist, findet den Weg ins Freie. Der Künstler schafft bloß die Öffnungen.

Bis 30. März, Di.–Sa. 11–18 Uhr, Zimmerstraße 89

Helmut Middendorf war Teil einer Bewegung. Anfang der achtziger Jahre bestimmte er neben Salome, Rainer Fetting und Elvira Bach, was man in Berlin unter „Neuen Wilden“ zu verstehen hatte. Jetzt hängt auf einem Aquarell in Hellblau und Siena der Kopf kraftlos und schwer zwischen den gebeugten Schultern, darunter der Satzschnipsel: „I'm somewhere between O. and K.“ Die Katerstimmung, so scheint es, ist auch bei Middendorf angekommen. Doch anders als in den obermotzigen Kalauern von Kippenberger oder dem stumpfen Frohsinn eines a.r. Penck ist dem überzeugten Westberliner ein charmanter Resthumor erhalten geblieben. Und ein gewisses Gefühl für Farben. Auf „the underground is over me“ steht eine kantige Gestalt, der Middendorf eine schulbuchrealistische Bleistiftzeichnung als Kopf aufgepfropft hat; zu „Vogue“ fällt ihm ein kugelbäuchiger Clown als Titelcover ein, und „Lust/Grazie/Cyberspace“ zeigt ein gesichtsloses Ei im Regenmantel. Heinz Erhardt trifft auf den kleinen Nick. Soweit die Bilder Zeitgeist dokumentieren, sind sie immer schon um eine Ecke gedacht, die Middendorf allerdings gleich mit in Szene setzte. Das macht die Sache grotesk, so wie das Bild vom Eintänzer, dem ein paar schweißstoppende Einlegesohlen um die Knie kleben. Natürlich kunstvoll eingefärbt.

Bis 3.4., Di.–Fr. 14–18.30 Uhr, Sa. 11–14 Uhr, Niebuhrstraße 2 Harald Fricke