Schluß mit Prahlsucht und Eitelkeiten

■ Aus Abneigung entstanden: die „Bauhaustapete Rasch“

Mit dem Verdikt „Der moderne Mensch hat weiße Wände“ wurde 1927 auf der Werkbund-Ausstellung in Stuttgart-Weißenhof die Tapete aus dem Massenwohnungsbau, der großen sozialen und künstlerischen Aufgabe der modernen Architektur, ausgeschlossen. Der Aufschrei der Tapetenindustrie war entsprechend laut.

Die Architektur des „Neuen Bauens“ brach nicht nur im Außenbau, sondern auch in der Raumgestaltung mit den historisierenden Dekorationsformen der Tradition. Das gedrechselte Holzbein wurde durch Stahlrohr oder Bugholz, aufdringliches Schablonenornament ersetzt, und schwerfällige Künstlertapeten mußten der weißen, allenfalls einfarbig gestrichenen Wand weichen. Die Wohnung als „Tummelplatz der Prahlsucht und Eitelkeit“ war endgültig überholt.

Der Juniorchef der Tapetenfabrik Gebr. Rasch in Bramsche (bei Osnabrück) ließ sich jedoch nicht schrecken und trat an den „gefährlichsten Gegner der Branche“, das Bauhaus, heran, um ihm den Entwurf einer Kollektion unter eigenem Namen und mit eigener Produktwerbung vorzuschlagen.

„Die Bauhaustapete entstand aus der Abneigung des Bauhauses gegen die Tapete“, faßte der (in Paradoxien offenbar geschulte) Bauhaus-Lehrer ihre Geschichte zusammen. Und das Berliner Bauhaus-Archiv breitet sie jetzt in originellem Ausstellungsdesign aus, und zwar auf Tapeziertischen. Ein reicher Bestand an Entwürfen, Werbematerial und Originaldokumenten aus dem Archiv der Firma Rasch bezeugt die enge Wechselbeziehung zwischen industrieller und kunstschulischer Produktion in Sachen Wandbekleidung.

Emil Rasch löste eine wahre Tapetenbegeisterung am Bauhaus aus – 1929 wurde der Vertrag für die Produktion unterzeichnet. In der Werkstatt für Wandmalerei entstand die erste Kollektion: feine Muster – wie Schraffierungen, Strichelungen und Rasterungen auf hellem, farbigem Untergrund bestimmten das neue Design. Aus einiger Entfernung gesehen bildete die Tapete den ideal-neutralen Hintergrund für die klare und transparente Wirkung des modernen Möbels.

Durch intensive Werbekampagnen entwickelte sich die Bauhaustapete zur lukrativsten Einnahmequelle der Schule. Nicht zuletzt durch das offensive werbestrategische Geschick Emil Raschs überlebte die Bauhaustapete die endgültige Schließung der Schule 1933 durch die Nationalsozialisten. Rasch setzte übrigens nicht nur auf die „Bauhaus-Karte“.

Er bot gleichzeitig die floral- verspielte May-Kollektion und die von Paul Schultze-Naumburg, einem der größten Bauhaus-Gegner, entworfene, sogenannte „Weimar- Karte“ an. „May“ stand für den häuslich-privaten Bereich, Schultze-Naumburgs flächiges Brokatornament für den männlichen Arbeitsraum, die Bauhaustapete für Flur, Wohn- und Eßzimmer.

Die Werbeschriftzüge, Schreibschrift-, Fraktur- und moderne Futuratype charakterisierten den Anspruch der jeweiligen Karte oder Kollektion deutlich. Unter dem Slogan „Ob Hochhaus, ob Landhaus: innen Bauhaustapeten“ hielt das Bauhaus-Produkt nicht nur in moderne Architektur Einzug. Neben Walter Gropius' Karlsruher Dammerstock-Siedlung wurden auch die Reichskanzlei in Berlin und das Verwaltungsgebäude der NSDAP in Osnabrück mit der Bauhaus-Karte tapeziert. Die breite und gegensätzliche Angebotspalette in Raschs Sortiment bot der Bauhaustapete Schutz, so daß sie noch bis 1944 unter ihrem eigenen Namen weiterexistieren konnte.

Bekanntlich ist auch heute noch die Gestaltung der vier Wände oft nicht allein eine Frage des Geschmacks, sondern eine der Gesinnung. Man entscheidet sich zwischen praktisch abwaschbarer Rauhfaser oder modisch mit Schwämmchen geschlämmten Pigmenten.

„Für Menschen von Geschmack“ gibt es jedoch noch eine dritte Variante der Wandgestaltung: die Klassikeredition aus dem Hause Rasch. Simone Förster

Bis 1.Mai 1996, Bauhaus-Archiv, Klingelhöferstraße 14, Berlin; Katalog 38 DM