Schirm & Chiffre
: Mit Rudi Dutschke allein zu Haus

■ Das Deutsche Historische Museum hängt jetzt im Netz und wurde dafür sogar schon ausgezeichnet

Ein Museum ist ein Ort, der das tägliche Leben ausschließt, damit die Dinge, die sich in seinem Innern befinden, Kunst sein können. Mit dem Museum hat die bürgerliche Gesellschaft eine Panzerglasplatte aufgestellt, hinter der sich eine idealistische, höhere Wirklichkeit konstituieren kann. Auch der avantgardistische Versuch, die Mauern dieser bürgerlichen Kultstätte zu schleifen, um Kunst und Leben miteinander zu versöhnen, endete dann wieder dort. Erst knappe Kassen öffneten die Tore für profanes Treiben, in den Vereinigten Staaten sind die großen Museen auf Monate und Jahre im voraus ausgebucht. Dort kann man sich Museen mieten, wenn man Anlässen wie – sagen wir mal – einer Hochzeitsfeier mit einem ungewöhnlichen Ambiente zu einer speziellen Note verhelfen will.

Nun ist es nicht jedem vergönnt, mal eben das Metropolitan Museum oder den Louvre zu mieten. Diesem Mißstand kann inzwischen insofern abgeholfen werden, als die Museen der Welt via Internet und CD-ROM 24 Stunden täglich zur Verfügung stehen. Auf der Louvre-CD kann man etwa virtuelle Rundgänge durch die Sammlungen unternehmen. Deutschland ist dagegen immer noch Technoprovinz.

Als letztes Jahr auf einem G-7-Treffen Museumsleute aus den Teilnehmerländern zur Erbauung der Staatschefs über die Einbindung neuer Technologien in ihre Arbeit Bericht erstatten wollten, gab es Ärger: Die Deutschen hatten nichts vorzuweisen. Inzwischen ging jedoch das Deutsche Historische Museum (DHM) ans Netz und kann im World Wide Web (http:// www. dhm.de) besucht werden. Die DHM Homepage ist bereits mit dem Gütesiegel ausgezeichnet worden, ein „Top 5% Of All Websites Point“ zu sein. Netzpolitisch bewußt prangt auch die blaue Free-Speech-Online- Schleife auf dieser Seite.

Von der Homepage aus kann man sich über wirklich alles informieren, was das DHM zu bieten hat; unter anderem eine detaillierte Auflistung der zwölf Sammlungsbereiche, die sich von historischen Dokumenten über Militaria zur Alltagskultur erstreckt. Unter letztere fallen zwei komplette Arztpraxen, wie man hier erfährt. Verschiedene Fotos aus Ausstellungen in der Fotogalerie können auf den heimischen Schirm geholt werden. Darunter Aufnahmen von Rudi Dutschke, FU-Studenten agitierend, oder von Berliner Häusern 1945, an denen Bettlaken die Kapitulation verkünden. Außerdem gibt es eine E-Mail-Liste, in der Themen wie Restaurierung, Objektrecherchen oder EDV im Museum behandelt werden.

Da jede Homepage nur so gut ist wie ihre Auswahl an Links, haben die Netzwerker des Hauses eine beeindruckende Liste an Verbindungen in die Welt der Museen zusammengetragen. Woanders, im Bostoner Computer Museum zum Beispiel, kann man dann sehen, wie interessant solche Anstalten sein können. Dort werden Fragen beantwortet wie die, ob Roboter Sandwiches machen können. Aufgabe ist, einem Roboter beizubringen, ein Brot mit Erdnußbutter zu beschmieren. Dazu muß man das Terminal dann aber verlassen. Womit die Befürchtung von Direktoren widerlegt wäre, daß allzu gute Netzangebote potentielle Besucher davon abhalten könnten, sich wirklich ins Museum aufzumachen. Ganz im Gegenteil erzählen immer häufiger Besucher, sie seien durch das virtuelle DHM erst dazu animiert worden, sich die Exponate einmal wirklich anzusehen.

Der Netzbewohner ist auch dort nicht völlig von der Welt abgeschlossen, ein PC mit Internetanschluß steht bereit. Touristen nutzen das Gerät inzwischen vermehrt zum Verschicken von E- Mail-Postkarten an die Lieben zu Hause: „Berlin is super, lots of old buildings here, and they got even one public terminal with internet access. Cool.“ Ulrich Gutmair