„Von Haushaltssanierung meilenweit entfernt“

■ Interview mit der bündnisgrünen Haushaltsexpertin Michaele Schreyer: Sparpaket hat viele Luftnummern und ist sozial unausgewogen. Wie Stellenabbau funktioniert, ist unklar

taz: Ist das Haushaltsloch gestopft?

Michaele Schreyer: Berlin ist von einer Haushaltskonsolidierung noch meilenweit entfernt. Auch in den nächsten vier Jahren wird Berlin die Rekordverschuldung fortsetzen und 20 Milliarden Mark neue Kredite aufnehmen. Jetzt geht es darum, zusätzliche Haushaltslöcher, die Herr Pieroth als Finanzsenator verschwiegen hat, zu stopfen.

Das Senats-Paket enthält eine Menge Luftnummern. Für über die Hälfte des Loches wurden pauschale Beschlüsse gefaßt. Auch 1995 sollten 2 Milliarden Mark „pauschal“ eingespart werden. Am Ende gab es ein zusätzliches Defizit von 2 Milliarden Mark.

Wurden zumindest richtige Schwerpunkte gesetzt?

Bei den Stellenstreichungen im Senatskonzept bleibt offen, in welchen Bereichen dies geschehen soll. Wir sagen, man muß insbesondere bei den Hauptverwaltungen ansetzen. Der beschlossene Einstellungsstopp bedeutet ein Sparen per Rasenmäher. Vor allem ist es eine Strategie, die Arbeitslosigkeit weiter vergrößert. Nur mit einer Arbeitszeitverkürzung bekommt man Sparen und eine verantwortungsvolle Arbeitsmarktpolitik unter einen Hut.

Sind Sie einverstanden mit den Verkäufen des Landesvermögens?

Jeder weiß, daß dies keine Sanierungsstrategie ist. Vermögen kann man nur einmal verscherbeln. Viele Veräußerungen führen zu Mindereinnahmen oder Mehrausgaben in den Folgejahren. Zudem: Dem Vermögen steht ein Schuldenberg gegenüber, bei Verkauf des Vermögens steht Berlin da wie jemand, der sein Auto auf Pump kauft, es dann wieder verkauft, um Geld hineinzubekommen, aber das Auto weiter abstottern muß.

Sind die Grünen nicht in der Klemme: Sie sagen, Berlin darf nicht sein Tafelsilber verkaufen und auch nicht weiter verschulden. Die Große Koalition argumentiert, man tue genau dies, um die soziale Struktur nicht noch weiter zu belasten. Wo soll das Geld denn herkommen, um das Haushaltsloch zu stopfen?

Die soziale Struktur ist bereits dadurch belastet, daß ein großer Teil des Steueraufkommens direkt für Zinsen an die Banken fließt. Das Thema Verkauf von Vermögen blenden wir nicht aus. Aber es kann nicht angehen, daß die Bewag verkauft wird, womit gleichzeitig energiepolitische Steuerungsmöglichkeiten aus der Hand gegeben werden, daß aber umweltzerstörende Investitionen wie der Straßentunnel tabuisiert werden.

Wo hätten Sie gespart?

Unbedingt auch bei den Großprojekten. Da ist beispielsweise die Schwimmhalle mit weiteren 150 Millionen Mark. Da ist der Messeausbau mit einem Standard jenseits aller Vorstellungen. Wir halten es für falsch, daß einerseits keine Schulen mehr gemacht werden, aber andererseits diese großspurigen Projekte weitergefahren werden.

Falsch ist auch , daß bei der Altbausanierung zwanzig Prozent gekürzt werden sollen. Für die neu festgelegten Sanierungesgebiete in Friedrichshain, in Neukölln, in Wedding oder in Prenzlauer Berg war schon bisher keine müde Mark vorgesehen. Wenn jetzt noch gekürzt wird, geht der Verfall der Altbauquartiere weiter.

Wir wollen statt dessen den Neubau weiter reduzieren. Daß mit Milliarden Mark geförderte Neubauwohnungen leer stehen, ist ein Riesenskandal.

Die Bauverwaltung sagt zu den Großprojekten wie der Schwimmhalle, die Kosten fielen wegen bestehender Verträge auch an, wenn jetzt der Bau gestoppt würde.

Dann muß man mit den Baufirmen verhandeln, inwieweit sie in andere Projekte einsteigen können.

Ist das Sparpaket sozial ausgewogen?

Nein. Die Gebühren für Kitas sollen in den nächsten zwei Jahren um zwanzig Prozent, die Gewerbesteuer soll aber erst 1998 angehoben werden. Dabei ist die finanzielle Misere Berlins mit dadurch verursacht, daß die Unternehmensteuer allein im letzten Jahr in Berlin um über 2 Milliarden Mark zurückgegangen sind.

...das ist auch ein Ergebnis der Pleiten.

Das ist zum größten Teil durch Sonderabschreibungsmöglichkeiten verursacht, die zu diesen Steuerausfällen führten. Daß dann der Regierende Bürgermeister sagt: „Der Wirtschaft geben wir die Atempause“, aber gleichzeitig die Familien mit einer Gebührenerhöhung nach der anderen belastet, zeigt die Unausgewogenheit. Zudem vermissen wir ökologische Lenkungsabgaben. Es wäre gescheiter, eine Verpackungsteuer oder Motorbootsteuer einzuführen.

Müssen wir nicht fragen, warum wir soziale Projekte kürzen und auf der anderen Seite für den Straßentunnel im Tiergarten 800 Millionen Mark ausgeben?

Richtig. Eine Bereitschaft und Akzeptanz in der Bevölkerung für spürbare Einschnitte ist nur dann zu erwarten, wenn gleichzeitig die finanziellen Großrisiken auch angegangen werden.

Es geht nicht an, daß Eltern mit ihren Kitagebühren und Studenten mit ihren Einschreibgebühren und Sozialhilfeempfänger mit höheren BVG-Preisen für den Straßentunnel bezahlen.

Dieses Sparpaket jedenfalls hätte die CDU auch allein beschließen können. Von sozialdemokratischer Handschrift ist da keine Spur. Interview: Gerd Nowakowski