„Man muß bescheiden bleiben“

■ Was Ornette Coleman nicht gelang, Woody Allen kann es: Das Pariser Olympia ist ausverkauft, wenn er mit seinem Bunk Project auftritt – Ein Gespräch mit dem Filmemacher über seine Jazz-Passion

Es ist überhaupt kein Geheimnis mehr, daß Woody Allen seit einem Vierteljahrhundert jeden Montagabend in Michael's Pub in der East 55th Street Klarinette spielt, Jazz- Klarinette. Aber bislang traute sich der Schüler von Eugene „Honeybear“ Sedric, ehemals Begleiter von Fats Waller, nie hinaus in die Fremde. Mit dem Bunk Project ist es nun soweit; dieser Tage tritt Woody Allen im Pariser Olympia, dem Lieblingssaal von seinem Idol Sidney Bechet, auf. Vielleicht gibt es irgendwann mal ein „Jazz Movies all Stars“, mit Clint Eastwood am Piano, wer weiß?

Was ist in Sie gefahren, daß Sie plötzlich aus Michael's Pub in die weite Welt hinausziehen wollen?

Woody Allen: Also Moment mal, es war nie davon die Rede, daß wir uns aus Michael's Pub verabschieden. Wir haben nur mal drei Wochen Urlaub genommen. Wir hatten eben gerade gehört, wie begeistert die Europäer von amerikanischem Jazz sind, speziell von New Orleans Jazz, da dachten wir, das wäre doch eine günstige Gelegenheit, unsere Lieblingsstädte zu besuchen und gleichzeitig uns ein wenig zu produzieren...

Sie feiern hier jeden Abend Triumphe als Musiker, wie kaum je als Regisseur – haben Sie nicht das Gefühl, Sie sind vielleicht im falschen Metier tätig?

Ach was, das sind doch ganz verschiedene Erfahrungen. Filmemachen ist eine sehr haarige Angelegenheit. Man muß sehr früh aufstehen, den ganzen Tag in der Kälte und dem Schnee herumrennen, das ist körperlich schmerzhaft! Jazz spielen ist hingegen ein Vergnügen. Bedauerlicherweise bin ich kein sehr guter Musiker. Wenn ich auf diese Weise mein Brot verdienen müßte, würde ich reichlich Hunger leiden.

Und es war wirklich Sidney Bechet, der Sie auf die Idee brachte, selbst zu spielen?

Allerdings, und eine komische Geschichte war es außerdem. Das war in den fünfziger Jahren, da hatte einer meiner Freunde ein Tonband gekauft, damals eine völlig neuartige Angelegenheit. Um zu sehen, wie es funktionierte, hatte er eine Sendung, irgendeine, aufgenommen, und zufällig war es Bechet. Ich hörte das – und war verzaubert. Ich habe nie wieder jemanden so spielen hören. Ich rannte sofort los, kaufte mir ein Sopransaxophon und fing an, mir die ersten Sachen autodidaktisch anzueignen. Erst später bin ich auf Klarinette umgestiegen.

Warum Klarinette statt Saxophon?

Erst mal schien es mir unmöglich, nach Bechet überhaupt noch Saxophon zu spielen. Höchstens hätte man etwas sehr Modernes machen können, so wie John Coltrane, aber das war nicht die Art von Musik, die mich interessierte. Sidney Bechet hat dieses Instrument dermaßen beherrscht – wenn man New Orleans Jazz spielen wollte und spielte nicht wie er, dann konnte man es eben einfach vergessen! Außerdem gibt es nicht wenige Klarinettisten, die ich bewundere, es ist einfach das interessantere Instrument.

Haben Sie wirklich mit Gene Sedric gespielt?

O ja! Sobald ich mich einigermaßen zurechtfand, habe ich ihn angesprochen, denn ich ging jede Woche in seine Konzerte. Ich sagte ihm, ich sei dieser Fünfzehnjährige, der ihn jeden Abend anhimmelte in der Bar, in der er spielte. Er wußte sofort, wer ich war, und war phantastischerweise bereit, mir mit der Klarinette zu helfen. Jede Woche kam er einmal aus Harlem zu mir, er brachte mir das Atmen bei. Und alle Tricks, die man sich vorstellen kann.

Was mißfällt Ihnen am Modern Jazz?

Nichts, ich bewundere ihn! Ich bewundere Charlie Parker, Bud Powell, Thelonious Monk, Sonny Rollins... Auch wenn mein Stil eher New Orleans ist. Diese Leute besitzen einfach eine Technik, von der ich nie auch nur zu träumen wagte.

Kennen Sie Klarinettisten wie Jimmy Guiffre?

Ich habe ihn im Konzert gesehen, genau wie Monk, Miles Davis, Coltrane, Art Farmer... Ich gehe in New York ständig in Konzerte. Mehrere Jahre lang war der einzige Jazz, den man in New York hören konnte, Modern Jazz, so daß ich enorm viel davon konsumiert habe: Oscar Peterson, das Modern Jazz Quartet. Aber eigentlich bin ich doch – wahrscheinlich, weil ich damit aufgewachsen bin – ein Fan von Jelly Roll Morton und W.C. Handy. Bunk Johnson, die Blechorchester, Louis Armstrong schätze ich einfach über alles.

Man munkelt, Sie genössen in New Orleans den Ruf, wie ein echter Musiker zu klingen?

Das wäre natürlich das schönste Kompliment, das man mir machen könnte. Aber ich muß recht bescheiden bleiben, was mein Spiel betrifft, weil ich ja eben doch nichts anderes bin als ein Amateur. Ich tue mein Bestes, bin leidenschaftlich, enthusiastisch, habe vielleicht auch einen authentischen Ton, beherrsche den New-Orleans-Stil; aber ich habe kein besonders gutes Gehör und nicht viel Talent.

Üben Sie jeden Tag?

Ja. Nicht sehr viel, denn wenn man Filme dreht, ist die Zeit knapp, aber ich finde immer einen Moment, vielleicht in der Mittagszeit, abends vor dem Schlafengehen oder ganz früh morgens.

Ist es wahr, daß Sie Ihren Vornamen als Hommage für Woody Herman gedacht haben?

O nein! Ich liebe Woody Herman, aber so nun auch wieder nicht!

Hat Ihre musikalische Erfahrung eine Auswirkung darauf, wie Sie Ihre Filme wahrnehmen?

Der beste Moment beim Filmemachen ist für mich der, wenn die Dreharbeiten und der Schnitt fertig sind und ich mich hinsetzen und mir die musikalische Illustration überlegen kann. Ich suche Platten raus, höre sie an, stelle mir den Film dazu vor, ich probiere aus, ob die Musik paßt, wenn nicht, überlege ich mir etwas anderes... Ich benutze, sooft ich kann, die Musik, die ich ohnehin am liebsten höre.

Sind Sie aufgeregter, wenn Sie auf der Bühne stehen, oder eher vor der Kamera?

Als ich noch im Kabarett auftrat, war ich sehr aufgeregt, denn da stand ich allein vor dem Mikrophon und erzählte Witze. Aber wenn ich von sechs anderen Musikern umgeben bin, die selbst auch so ungeheuer viel Spaß am Spielen haben, dann habe ich kein Lampenfieber. Im Film habe ich überhaupt keine Angst mehr. Da gibt es ja kein Publikum. Man arbeitet für die Kamera, und die ist ja nur eine Maschine.

Wie kam es zu der Plattenaufnahme mit dem Bunk Project?

Ziemlich „organisch“. Der Kopf der Gruppe, Eddy Davis, der Banjospieler, mit dem ich in Michael's Pub aufgetreten bin, hat mir vorgeschlagen, in der Bunk Band Klarinette zu spielen. Eines Tages, als wir uns aufnahmen, sagte er einfach: „Laß mal sehen, ob daraus eine Platte wird.“ Das war alles. An diesem Punkt entstand übrigens auch die Idee der Tournee.

Sie füllen das Olympia, wo, vor etwa drei Monaten, ein Konzert von Ornette Coleman abgesagt wurde, weil nicht genügend Karten verkauft wurden. Finden Sie das nicht ungerecht?

Absolut! Ornette Coleman ist ein Genie! Es ist gleichzeitig traurig und ein Witz, daß ausgerechnet ich nun mehr Leute anziehen sollte, ich, der ihm nie das Wasser reichen könnte. Coleman ist ein Künstler, ich bin ein Filmschauspieler. Meinen Namen kennen die Leute aus Filmen. Sie erwarten dann einen anderen Abend. Aber wenn Sie mich fragen, wer mehr Publikum verdient, sage ich Ihnen: Ornette Coleman, mit Abstand! Das Gespräch führte

Serge Loupien

Aus dem Französischen

von Mariam Niroumand

q „Libération“