■ Hinterbank: Virus irrationalis
Warum nur kommt die Enthospitalisierung seit fast zwei Jahren nicht voran? Eine plausible Erklärung konnte die Senatsverwaltung für Gesundheit auch auf hartnäckige Nachfrage nie geben. Kein Wunder, denn eine plausible Erklärung gibt es auch nicht. Vielmehr hat sich der Virus irrationalis eingeschlichen, der irrationales Verhalten auslöst.
Das Vorhaben, psychisch Kranke verstärkt ambulant zu versorgen und Betten in psychiatrischen Krankenhäusern abzubauen, stagniert, weil sich das Haushaltsreferat und das Krankenhausreferat der Gesundheitsverwaltung gegenseitig blockieren. Eine Personalentscheidung von Gesundheitssenator Peter Luther (CDU) hatte im Sommer 1995 zu anhaltenden Verstimmungen zwischen den beiden Abteilungen geführt. Luther hatte Gesundheitsstaatssekretär Orwats Pläne durchkreuzt und den neuen Psychiatriekoordinator Heinrich Beuscher beim Psychiatriereferat des Krankenhausreferates angesiedelt. Nach Luthers Abgang wird Beuscher, der sich zum linken SPD-Flügel zählt, jetzt direkt dem Staatssekretär zugeordnet. Ende März soll „ein Paket“ für die Umsetzung der Enthospitalisierung vorliegen.
Die geplante Aufteilung des Psychiatriereferates auf vier andere Abteilungen stößt allerdings extern und intern auf Widerspruch. Kritiker sprechen von der „Zerschlagung des Psychiatriereferates“. Ein eigenständiges Psychiatriereferat werde es nicht mehr geben, wenn beispielsweise die Gerontopsychiatrie der Geriatrie-Abteilung zugeordnet wird.
Mit der Vierteilung des Referates will sich Orwat offensichtlich auch einer internen Kritikerin entledigen: Die langjährige Psychiatriereferentin Sybilla Fried soll versetzt werden.
Weil es intern Widerstände gegen die Umstrukturierung gibt, mußte gestern die neue Gesundheitssenatorin Beate Hübner (CDU) intervenieren. Hoffentlich hat sie dabei eine glücklichere Hand als ihr Vorgänger. Dorothee Winden
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen