Prêt-à-porter
: Ab ins 21. Jahrhundert

■ Nylon cybernétique: Man stinkt wie am Hof von Ludwig XIV.

Es geht ein Gespenst um in Paris, und dieses Gespenst heißt Prada. Zum Auftakt der Prêt-à- porter-Schauen in Paris beklagt Laurence Benaim in einem langen melancholischen Artikel in Le Monde, daß der vielbesungene Pariser Chic heute provinziell und altmodisch wirke: Zu viele gepaspelte Säume, zu stark gepolsterte Schultern und vor allem – zu viele Goldknöpfe! „Das ist inzwischen die Uniform der abgedankten Ministerinnen und der Wetterfräuleins“, klagt Christian Lacroix. Und Chantal Thomass schiebt hinterher: „Vor zehn Jahren hatte noch jeder Designer seinen Stil, heute folgen alle nur dem Trend.“

Was die Franzosen daran am meisten fuchst, ist, daß dieser Trend aus Italien kommt. Bei den Schauen in Mailand wurden Prada, Gucci, Armani und Jil Sander gefeiert, wie es Ungaro, Saint-Laurent oder Lacroix schon sehr lange nicht mehr erlebt haben (und Chantal Thomass erst recht nicht).

Die Botschaft ist simpel: Kleider, die in ihrer Schlichtheit an Kinderhänger erinnern, ohne Ärmel und ohne Kragen, hochgeschlossene Kostüme und leicht ausgestellte, nicht ganz knielange Mäntel ohne den geringsten Firlefanz – alles ist propper, sauber und sehr bürgerlich, wie Benaim naserümpfend feststellt. Und recht hat sie. Es gibt nur eine Sache, die noch bürgerlicher ist als ein Prada-Kleid, nämlich ein Kostüm mit Goldknöpfen.

Ein gutes Beispiel dafür, wie ideenlos die französischen Modehäuser auf die italienische Herausforderung reagieren, war die Schau von Frédéric Molenac: Schlichte Röcke, Hosen und Anzüge – die Schnitte waren so konventionell, wie die Stoffe gewagt. Es gab hüftlange, schokoladenbraune Lycrapullover über ausgestellten Röcken aus gummiertem Gabardine, in dem bezaubernd matten Grau eines alten Autoreifens – die Grautöne haben es mir besonders angetan, mit Namen wie „Asphalt“ oder „Aluminium“ – gefolgt von schwarzen Röcken und Hosen aus Neoprene, steif und garantiert nicht atmungsaktiv, und kastanienbraunen durchsichtigen T-Shirts aus Nylon.

Schon bei den letzten Schauen konnte man nur staunen, angesichts der endlosen Liste neuer synthetischer Materialien (was um Himmels willen ist „nylon cybernétique“?) Mir will diese Entwicklung nicht ganz einleuchten: Man trägt Stoffe aus dem 21. Jahrhundert und stinkt wie am Hof Ludwigs XIV. Wo ist da der Witz?

Wenn man bedenkt, daß viele Winterpullover in diesem Jahr den Bauchnabel frei ließen, habe ich hier eine gute Nachricht: Der Hals bleibt nächstes Jahr warm! Sowohl Costume National als auch Dirk Bikkembergs zeigten mit Vorliebe glänzende dünne Pullover mit hohem Kragen. Von der Halsmulde bis unter die Brüste waren sie allerdings meist geschlitzt.

Costume National zeigte eine fast militärisch strenge Kollektion. Die Wintermäntel waren kurz, leicht tailliert und am Rücken oder in der Taille mit Riegeln versehen, dazu gerade geschnittene Herrenhosen. Nur die Hosen aus Pannesamt hatten einen Schlag. Die Hemdkragen standen sehr hoch, fast wie Stehkragen, waren aber umgeschlagen. Es gab kaum Kostüme, dafür jede Menge Anzüge aus festem Woll- oder Gabardinestoff. Diese festen Stoffe bewirkten, daß die Jacken nach unten etwas auseinanderliefen, was ihnen eine leichte Ähnlichkeit mit dem höfischen juste au corps des 17. Jahrhunderts verlieh. Über den Hosen wurden statt einer Jacke auch häufig kurze Hänger mit großem Kragen und V-Ausschnitt getragen.

Die häufigsten Farben waren Schwarz, Grau, Braun in allen Schattierungen und Gold. Besonders die Farben verliehen den Anzügen eine gewissen Würde. Die Braun-, Gold- und Silbertöne waren leicht abgedunkelt, als hätten sie schon eine gewisse Patina angesetzt.

Sauber geschnittene klassische Anzüge auch bei Dirk Bikkembergs. Allerdings mit einigen Extras. Manche Jacken waren durch Reißverschlüsse unterteilt – entweder an der Taille oder an der Hüfte, so daß man den unteren Teil abnehmen konnte. Dazu war das Material meist gemischt. So bestand etwa der obere Teil der Jacke aus dem üblichen Wollstoff, der untere Teil dagegen aus mattglänzendem dicken Nylon, wie man es manchmal für Regenjacken verwendet. Die Hosen waren entweder ganz schmal geschnitten oder hatten einen Schlag, der hinten bis zu den Kniekehlen durch einen Reißverschluß geöffnet war. Darunter wehte schwarzer oder roter Chiffon hervor. Yin und Yang, sagt Bikkembergs. Anja Seeliger