Grausames Gestopsel, eher sozial denn sportlich

■ Düsseldorf gegen Werder 1 : 1 – schlimmer ging's nimmer. Ein Leidensbericht live aus dem dem Rheinstadion

Richard Weingarten kann mit Fug und Recht als Fußballweiser angesehen werden. Der Mann ist Präsident des glorreichen „Bunten Sturms“, der Traditionsmannschaft der Bremer wilden Liga, und außerdem kann er vielerlei nutzlose Ergebnisse aus den 50er Jahren der Oberliga West dahersagen, von den Mannschaftsaufstellungen ganz zu schweigen. Jedenfalls, der Fußballweise Weingarten hat vor Jahr und Tag folgende Grundthese fröhlich in eine bierselige Gaststätte gerufen: Fußball ist immer besser als kein Fußball. Heute muß man sagen: Weingarten geht den Weg aller großer Theoretiker. Allesamt werden sie so oder so von der Wirklichkeit widerlegt. Weingarten ahnte nicht, konnte nicht ahnen, mochte sich wahrscheinlich gar nicht vorstellen, was zwei Gurkentruppen, wenn sie erstmal aufeinander losgelassen werden, über neunzig Minuten verbrechen können. Womit wir schon beim Gastkick des Sportvereins Werder (früher mal eine Spitzenmannschaft, die Älteren werden sich noch erinnern) bei Fortuna Düsseldorf wären.

Um es gleich vorweg zu sagen: Das war das grausamste, hingestottertste, peinlichste Gestopsel, das die Grün-Weißen in den letzten Jahren abgeliefert haben. Von den Düsseldorfern, so berichten es die leidgeprüften Fans, sei man eh nichts anderes gewohnt. Am Ende des Spiels, oder was das war, stand die Preisfrage: Was war schlimmer? Das Gekicke, die Außentemperaturen (minus drei Grad), der beißende Gestank, der von sieben abgefackelten Autos in das Rheinstadion wehte, oder doch der Glühwein (Zimmertemperatur!)? Die Meinungen gehen da auseinander.

Damit könnte man den Spielbericht eigentlich bewenden lassen, wenn wir nicht Tugenden entdeckt hätten, die in unserer erfolgsfixierten Zeit schon verloren schienen. Die Mannschaft von Fortuna Düsseldorf hatte nämlich überraschenderweise alles darangesetzt, die Bremer aus ihrem tabellarischen Tief zu holen. Wie die rheinischen Kicker ein ums andere Mal den Ball freiwillig ihren Bremer Kollegen überließen, das zeugte schon von sozial-sportlichem Anstand – und die Werder-Mannschaft wollte dem in nichts nachstehen. So unanständig mochten sie nicht sein, die freundlichen Gastgeschenke auch zählbar anzunehmen. Im Gegenteil: Von wenigen Ausnahmen abgesehen bemühten sich die Bremer ehrlich und redlich, es den Düsseldorfern gleichzutun. Allein die Spieler Eilts und Cardoso wollten partout nicht davon ablassen, den von Mal zu Mal so unerwartet gewonnenen Ball im Tor des Gegners unterzubringen. Aber was können schon zwei Ehrgeizlinge gegen die verschworene Front von 18 Männern des Ausgleichs ausrichten? Fast nichts. Kaum hatten die Düsseldorfer aus Versehen das 1:0 ins Netz gestolpert, da durfte Bruno Labbadia den Ausgleich köpfen.

Hervorzuheben wären auf Bremer Seite vor allem die Spieler Baiano und Hobsch. Der Bremer Übungsleiter Dixie Dörner hatte dem Abwehrturm Junior Baiano eingebleut, einfach zu spielen, weil der mit allerlei Leichtfertigkeit für Ungemach gesorgt hatte. Baiano setzte das auf ganz eigene Art um. Er stellte seine brasilianische Ballfertigkeit dadurch unter Beweis, daß er oft und oft das Leder nicht einfach aus der Gefahrenzone sonstwohin wegdrosch, sondern mit Hurra kerzengerade in den Nachthimmel semmelte (da oben ist bestimmt kein Düsseldorfer!), woher es dann auch zielsicher wieder in eben die Gefahrenzone zurückplumpste. Über den Spieler Hobsch muß man eigentlich nur erzählen, daß der sich in den ersten fünf Spielminuten bereits viermal im Abseits wiederfand. Der Mann hat seine Form aus der letzten Saison (Ballstoppen? Moment, das muß ich nochmal üben!) erfolgreich konserviert.

Der Spieler Basler, das nur am Rande, hatte wie so oft keine Lust. Allerdings blieb es wieder mal ihm überlassen, die Spielidee vom Dienstag abend auf den Punkt zu bringen. Als sich nämlich gegen Ende der ersten Halbzeit kein Düsseldorfer finden lassen wollte, einen Freistoß für die eigene Mannschaft – wie geübt – zum (vermeindlichen) Gegner zu spielen, da bot sich der hilfreiche Basler an. Mario, Gleichster unter den Gleichen, eine Inkarnation gar: Wir kennen keine Mannschaften mehr, wir kennen nur noch Gurken.

Vom Düsseldorfer Trainer Ristic wird erzählt, daß er beim letzten Spiel seine Mannschaft ausgelacht habe. Im Zuge der Angleichung der nordwestdeutschen an die rheinische Spielkultur muß man sagen: Von Ristic kann man noch was lernen, auch in Bremen. Dann wird es trotz des Glühweins (Zimmertemperatur!) doch noch ein lustiger Abend. Ansonsten gilt die Antithese zu Weinberg: Kein Fußball wäre besser gewesen. Verwirrend nur, was Bundestrainer Berti Vogts nach dem Spiel feststellte: „Das war kein Fußball.“

Jochen Grabler