Daß alles wieder wie früher wird

■ Ohne eine einzige Zigarette, dafür aber mit einem eigenen Streichorchester gastierten Georgette Dee und Terry Truck im Kammermusiksaal der Philharmonie

Ein Star will ich nicht werden.

Ein Glanz vielleicht.“

(Georgette Dee, 1992)

Nun ist sie also doch längst berühmt geworden. So berühmt, daß die Philharmonie ihr sogar für einen Abend den Kammermusiksaal überließ. Aber noch nicht so groß und glänzend, daß man in ihr das Kreisrund tatsächlich zu Füßen legte. „Ich darf hier nicht rauchen“, erklärt die Diseuse in gespielter Verzweiflung, „damit Montserrat Caballé nächste Woche das nicht auch will.“ Vier Nikotinpflaster habe sie sich auf „jede Hüfte geklebt“, und die Technik des Hauses hat sich nicht lumpen lassen und die Hebeelemente auf der Bühne mit Tapeband versiegelt: „Man weiß ja, wie ich trinke!“

Da lacht das Publikum, das sich kurz zuvor auf den gegenüberliegenden Rängen noch in aller Vertrautheit zugewunken hatte, wissend. Ja, das alles weiß man: wie sie trinkt und singt, wie sie (sonst) raucht und sich die Haare rauft. Nur die Streicher lächeln etwas unsicher. Sie sind das Neue an diesem Abend, die unbekannte Größe gewissermaßen, auf die wir uns alle so gefreut haben. Sie haben uns letztlich auf die 1.200 Plätze des Kammermusiksaals gelockt. Sie sind es aber auch, die uns jetzt ein wenig ängstigen.

Wird das gutgehen? fragen wir uns, weil wir uns das doch so sehnlich wünschen, daß unsere Georgette einen fulminanten Erfolg feiern wird – und damit auch uns ein wenig mitadelt, die wir uns vor zehn Jahren mit ihr ins UnArt quetschten, um sie – wenn nicht zu einem Star, dann doch wenigstens zu einem Glanz zu machen.

Und in gewisser Weise soll es an diesem Abend tatsächlich gut, weil glatt über die Bühne gehen. Brav surren die Celli tiefer und tiefer, wenn's auf der Bühne ins gekonnt Dramatische wechselt. Wenn Georgette in zitathafter Stummfilmmanier, vom Verfolger verfolgt, durch die Ränge flattert, hier einmal stöhnt, dort einmal pausiert. Keck zupfen die Geigen, wenn sich in den Chansons kurz die alte Koketterie breitmacht, brav halten sie inne, wenn sie nichts zu sagen haben, weil die abgeklebte Bühne der Diseuse an dieser Stelle programmgemäß allein überlassen bleiben soll.

Und doch bleibt ein Rest des Zweifels – Vertrautheit hin, Berühmtheit her –, ob es eine wirklich gute Idee gewesen war, ausgerechnet an diesem Abend ausgerechnet hier zu sein. Nicht nur, weil die Übertragungstechnik der Philharmonie offenbar so wenig auf elektrische Verstärkung eingestellt ist, daß Georgettes ins Mikro gehauchten Worte nur undeutlich verzerrt an unser Ohr dringen. Nein, es ist noch etwas anderes verlorengegangen. Denn das, was die längst durchkomponierte Performance der Dee bislang immer noch ausmachte – ihre unendlichen Monologe, ihre scheinbare Spontaneität, ihre vorgebliche Wirrheit und tatsächliche Bühnenpräsenz – all das entlarven die schüchternen Streicher nun endgültig als dramturgische Dramatik. Wo immer sich Georgette an diesem Abend gedanklich befindet, wo immer sie sich scheinbar verhaspelt, rote Fäden und Champagnergläser sucht – wenn die erste Geige ihren Bogen hebt, dann ist klar: Das war das Stichwort. Gleich singt sie wieder – und prompt singt sie dann auch.

So geht es fort, Lied für Lied, Strich für Strich. Kein Patzer, aber auch kein wirklicher Höhepunkt. Keine Angst mehr, aber eben auch keine Angst mehr. Für jedes Sentiment hat Terry Truck dem Orchester ein passendes Arrangement geschrieben. Aber früher, so will es mir nicht aus dem Kopf, gab es früher nicht mehr Gefühl?

„Wenn ich mir was wünschen dürfte...“, meint mein Begleiter traurig, als wir uns in der Pause an der Bar treffen, „dann, daß alles wieder wie früher ist. Daß sie Whisky säuft statt Champagner, daß sie sich wirklich verhaspelt, statt es uns vorzuspielen.“ Aber früher, da war Georgette eben noch kein Star. Alles hat seinen Preis. Für unsere Karten haben wir 52 Mark hingeblättert. Das hätten wir uns früher gar nicht leisten können. Klaudia Brunst