Endzeit in Warschau

Einbruch des Alttestamentarischen – Der polnische Filmemacher Krzysztof Kieslowski (54) erlag gestern einem Herzinfarkt  ■ Von Mariam Niroumand

„Die Dinge sind im Grunde viel häßlicher, als ihr denkt“, hatte Krzysztof Kieslowski vor ein paar Jahren in einem Gespräch mit dieser Zeitung gesagt. Es hatte im Januar 1989 stattgefunden, einige Monate also nachdem sein „Kurzer Film über das Töten“ in Cannes uraufgeführt worden war. Ein naßgraues, endzeitliches Warschau war zu sehen gewesen, zwei sprachlose Morde: Ein junger Mann erwürgt und erschlägt einen beliebigen Taxifahrer und wird dann für diesen Mord von der Staatsmacht hingerichtet, die sein blindes Schlachten mit kühler Präzision pariert. Ein Drittel der Zuschauer hatte den Saal verlassen, als der kurze Film 84 Minuten dauerte und als er so gar keine narrative Vertäuung der Gewalt bot. „Filmkunst der Spitzenklasse“, „tieftraurige Bildsonate“, „So einen Film gibt es nur alle zehn Jahre einmal“ – hymnisch feierte die Presse den Einbruch des Alttestamentarischen in die „satten und behäbigen Literaturverfilmungen“ jener Zeit.

Bei dieser Figur – dem hart gesetzten Schlag des Wahren, Häßlichen und Grausamen gegen das Saturierte, Moderne, Allzumenschliche – ist es für Kieslowski im Prinzip geblieben. Nur änderte sich, und das ist entscheidend, die Hintergrundfolie: Wird es unter einer Diktatur produziert, liest es sich – so ungerecht das scheint – anders, als wenn es, Jahre nach dem Mauerfall, aus Paris kommt, einer Stadt, der die Warschauer Tristesse erst aufgezwungen werden muß.

Geboren 1941 in Warschau, erhielt Kieslowski seine cineastischen Weihen an der konfliktumrankten Filmhochschule von Lodz. Sein unter verschiedenen Titeln kursierender Abschlußfilm „Aus der Stadt Lodz“ zeigte einen Streik vor Ort und die damit verbundenen Konflikte zwischen den Beteiligten und ihren Vorgesetzten in Betrieb und Verwaltung. Dieser Film und viele andere Dokumentarfilme jener Jahre katapultierten Kieslowski direkt ins Zentrum der Auseinandersetzung zwischen den Arbeiterorganisationen und der eigentlich für sie vorgesehenen Partei – wobei Kieslowskis Thema und Strukturprinzip vor allem der Konflikt zwischen dem richtungslosen Einzelnen und dem fremden anonymen Dogma war. „Amateur“ (1979) war die Geschichte eines Amateurfilmers, der in Konflikt mit der Staatsmacht gerät, als er Arbeitskämpfe dokumentiert. Das sogenannte „Kino der moralischen Unruhe“ war geboren. Auf einem stürmischen Treffen im Sommer 1971 hatten er und viele seiner Kollegen sich „gegen den totalen Verfall menschlicher Werte“ gewandt. Kieslowskis Film „Zufall“ von 1981, eine politische Parabel über das Engagement, wurde sechs Jahre lang von der Zensur mit Beschlag belegt. Mit seiner Präsentation in einer Nebenreihe von Cannes wurde der Westen erstmals auf Kieslowski aufmerksam.

„Ein kurzer Film über das Töten“, den Kieslowski für 44 Millionen Zloty gedreht hatte (etwa 65.000 Mark, eine normale polnische Produktion kostete damals 300 Millionen), war Teil einer „Dekalog“ benannten Serie, in der jedes der Zehn Gebote einen Film hatte. „Ein kurzer Film über die Liebe“ beobachtet zwei Nachbarn in einer polnischen Trabantenstadt. Er, Tomak, beobachtet sie, Magda, aus dem gegenüberliegenden Fenster mit komplizierten Apparaturen. Er sieht, wie sie Milch verschüttet, ihren Liebhaber liebt, und wie die Gasmänner sie stören, die er bestellt hat. Er bedrängt sie, kommt als – Milchmann! Eigentlich dürften sie sich nie kennenlernen und tun es aber doch; die Ödnis, die die Erfüllung seiner Träume hinterläßt, kann Tomek nicht überleben...

Aus dem Pariser „Exil“, Jahre später dann die Trilogie „Drei Farben“, unter Benutzung von Farbfiltern der Trikolore. Wie immer bei Kieslowski, wie auch in „Die zwei Leben der Veronika“, regiert der Zufall die Geschicke der Menschen, während das Gesetz der Serie die Arbeit des Regisseurs strukturiert. Zufällig verliert Julie ihren Mann und ihre kleine Tochter bei einem Autounfall, zufällig taucht eine Symphonie auf, zufällig läuft ein Hund über die Straße, der den einen und die andere zusammenführt. Oft leben Kieslowskis Protagonisten in einem Zwischenreich zwischen Leben und Tod, wohin es sie reißt, ahnt nur ihr Autor. Am Mittwoch starb Krzysztof Kieslowski an einem Herzinfakt.