Warum nur so traurig?

■ Christoph Eschenbach beeindruckte mit den NDR-Sinfonikern

Die Mezzosopranistin in Gelbgold wirkte mächtig neben dem schmächtigen Mann mit der blanken Glatze. Kaum merkte man, daß er sich verbeugte, sein Gesicht war nie deutlich zu sehen. Er drehte sich schnell um, hob den Taktstock, Berlioz' Lyrische Szene für Sopran und Orchester La Mort de Cléopatre begann.

1829 geschrieben für die erzkonservative Jury eines Kompositionspreises (Berlioz bekam ihn nicht), ist die Lyrische Szene ein spannend und unkonventionell gemachtes Stück nachbeethovenscher Sinfonik; Meyerbeer, Wagner und später auch Mahler müssen rote Ohren bekommen haben beim Hören dieser Instrumentation, bei dieser Art, die alte Melodik noch aufleuchten zu lassen, sonst aber mit grellen Blitzen die Neuheit einzuführen. Florence Quivar sang ihre Partie stark und mühelos, mit beeindruckend plausibler Dramatik, das Orchester wirkte hellwach und spielfreudig. Der kleine Mann mit den napoleonischen Kapellmeisterbewegungen hatte gute Vorarbeit geleistet.

Mehr noch in Mahlers 5. Sinfonie nach der Pause. Aller Orchestersturm, der da durch die Gruppen tobte, von Geigen zu Hörnern, von Pauken zur Triangel, gehorchte dem Eschenholzstab des Schmächtigen auf den Sekundenbruchteil. Der Trauermarsch am Beginn exakt in der Schwebe zwischen Friedhof und Geisterbahn, die Fülle des Scherzo wild und wuchernd, das Adagietto, von Visconti zuschanden gekitscht, fein sentimental, nie doof. Im Schlußsatz der Humor – klug dosiert, musikantisch ausgelebt, mit kühlem Kopf durch Fuge und Choraldurchbruch gesteuert, immer auf der Höhe der musikalischen Syntax Mahlers, immer im rechten (Zwie-)Licht.

Jeder Satz der gewaltigen Sinfonie hatte eigene Luft und Logik. Eine große Leistung, die der kleine Mann am Pult am Freitag abend in der Musikhalle ablieferte. Er hat, so hört man, als Dirigent und Pianist viel erreicht in der Welt und heißt übrigens Christoph Eschenbach. Warum nur wirkt er so fremd, so hart, so traurig? Stefan Siegert