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Wer die Autobahn sät ...

■ ... wird Verkehr ernten: Schleswig-Holstein im Brummi-Rausch / A  20 bedroht die Wirtschaft Mecklenburg-Vorpommerns Von Florian Marten

Krieg an der Küste: Er ist nicht öffentlich erklärt, die meisten Menschen bekommen ihn überhaupt nicht mit – und doch ist er bereits in vollem Gang. Milliarden von öffentlichen Subventionen, Tausende von Planern und Politikern, Hunderte von Lobbyisten und einige zig Bürgerinitiativen streiten gegenwärtig um die Verkehrszukunft des deutschen Nordens. „Gummi“, wie Eisenbahner spöttisch den Straßenverkehr nennen, kämpft gegen „Stahl“ – Schiff und Bahn.

Hochgerüstet stürzen sich die Kombattanten gegenwärtig in eine vorentscheidende Schlacht: Wird bei Lübeck die A 20 gebaut, ist der Norden wohl auf Jahrzehnte hinaus dem Diktat der Brummis und Pkws wehrlos ausgeliefert. Der Verkehrswissenschaftler Arnulf Marquardt-Kuron warnt: „Die A 20 wird erhebliche negative Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt in Mecklenburg-Vorpommern haben, da selbst großräumige Transporte von Fertigprodukten möglicherweise wirtschaftlich günstiger sind als die Produktion vor Ort.“

Hausgemachte Verkehrsprobleme

Noch freilich ist das Verkehrsgeschehen an der Ostseeküste bieder und beschaulich. Montag morgen, 10 Uhr 13 – mit nur vier Minuten Verspätung schiebt sich der Interregio 2231 durch den Stralsunder Vormittagsverkehr. Bahnschranken sorgen für den üblichen Stau – Stralsunds Hauptbahnhof hat Vorfahrt. Knappe drei Stunden hat die Fahrt von Lübeck gedauert – eine kleine Ewigkeit für eine Entfernung von nicht einmal 200 Kilometern; schon zu Kaisers Zeiten ging es kaum langsamer.

Auch die Straße ist für zeitgeizige MobilistInnen keine Alternative: Egal ob getunter Golf oder Volvo-40-Tonner – auf den 192 Kilometern der Bundesstraße 105 mit ihren Alleeteilstücken und beschaulichen Ortsdurchfahrten ist die Wettfahrt mit dem gemütlich zuckelnden Interregio fast nie zu gewinnen, obwohl die Ostseeküstenroute mit meist nur 12.000 Fahrzeugen pro Tag eine niedrige Belastung aufweist. Schuld an den dafür verantwortlichen lokalen Staus sind keineswegs, so Marquardt-Kuron, LKW-Konvois auf der Fahrt nach Osten oder urlaubshungrige Touristen, sondern der lokale Pendlerverkehr: „Die Verkehrsprobleme sind zum größten Teil hausgemacht und nicht durch Fernverkehre verursacht.“

Völlig staufrei dagegen präsentiert sich die Ostsee. Müde ist das Verkehrsaufkommen in den Häfen Lübecks, Wismars, Rostocks, Stralsunds und Greifswalds: Nur wenige Güter finden bislang den Weg per Küstenschiff. Hochwertige Güter auf diesen vergleichsweise kurzen Strecken – sie vor allem brächten Gewinn und Rendite – meiden bislang notorisch den Wasserweg. Und von modernen Küstenschnellfähren, welche Touristen und Pendler auf der Ostsee hin- und herkatapultieren könnten, ist weit und breit nichts zu sehen.

Der Wettlauf um die Verkehrszukunft Mecklenburg-Vorpommerns beginnt auf zurückhaltendem Niveau. Nur wenige Güter bewegen sich entlang der Küste – die meisten kommen von Süden, per LKW aus Berlin. Auch der Personenverkehr ist – entsprechend der geringen Bevölkerungszahl – noch ausgesprochen bescheiden. Für eine Autobahn, für die nach deutschen Planungsrichtlinien ein Verkehrsaufkommen von mindestens 25.000 Fahrzeugen täglich erforderlich ist, fehlt schlicht der Bedarf. Dies räumen die A-20-Befürworter unumwunden ein. Der Verkehr, so ihre Prognose, wird kommen, wenn die Autobahn erst da ist.

Richtig, räumen die Gegner ein: Wer Straßen sät, erntet Verkehr. Statt der LKW-Karawanen mit norddeutscher High-Tech, die sich nach der vollmundigen Vision der A-20-Fighter ostwärts wälzen, sehen Bürgerinitiativen und Verkehrsexperten allerdings etwas ganz anderes: ein Ende von Küstenschiffahrt und Schienengüterverkehr, bevor dessen Zukunft überhaupt begonnen hat, und einen Autorausch, der all denen die Verkehrsfreiheit raubt, die sich mit öffentlichen Verkehrsmitteln bewegen wollen. Und selbst von den Exportströmen Richtung Osten kann gar keine Rede sein: Eine Verlängerung der A 20 nach Polen wird es auf Jahrzehnte hinaus nicht geben. Der Ausbau des „Korridors Berlin-Warschau-Moskau“ hat absoluten Vorrang.

Mobiler, moderner, billiger: die Schiene

Der deutsche Norden steht vor der Alternative, in Mecklenburg-Vorpommern alle Fehler des westdeutschen Mobilitätsmodells zu wiederholen oder eine Verkehrszukunft zu gestalten, die wirklich Arbeitsplätze schafft und dazu noch die Umwelt schont. Die Alternativen zur A 20 sind preiswerter, schneller zu verwirklichen, technisch moderner und stärker auf die örtliche Wirtschaft ausgerichtet: Warum werden die Schienenstrecken nicht schneller und gründlicher modernisiert? Lübeck-Wismar, heute 66 Minuten Fahrzeit, wäre in 40 Minuten, Lübeck-Stralsund (zwei Stunden, 50 Minuten) wäre in unter zwei Stunden, Lübeck-Saßnitz (vier Stunden, 34 Minuten) in weniger als drei Stunden zu bewältigen. Eine Kombination von Schienenausbau, einer behutsamen Modernisierung der B 105 (einige Ortsumgehungen inklusive) und dem Ausbau eines flächendeckenden ÖPNV-Netzes Richtung Schiene nach holländischem Vorbild käme zu einem Bruchteil der A-20-Kosten auf ein Vielfaches an Mobilitäsgewinn.

Und der Güterverkehr? Neben der Schiene (z.B. Huckepack-Verkehr nach Saßnitz) liegt hier die Zukunft, wie selbst die IG Metall seit Jahren anmahnt, auf dem Wasser: Ein neuer Typus von „Short-sea“-Verkehr mit schnellen Küstenschiffen, eingebunden in satellitenüberwachte Logistik-Ketten – in Machbarkeitsstudien von Planern und Experten längst ausgereift –, könnte einen echten Wirtschaftsaufschwung an der Ostsee bewirken, Arbeitsplätze in Werften, Häfen und regionalen Industrien schaffen.

Die Vorentscheidung fällt in Schleswig-Holstein. Ein bißchen auch am 24. März.

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