Keine Ursünden

■ Kommt dennoch nicht ohne den Jargon der Eigentlichkeit aus: Der "New Yorker" überrascht mit einem Frauen-Special

Vom gediegensten Stadt- und Literaturmagazin der Welt, dem New Yorker, plötzlich ein „Women's issue“ in der Hand zu halten, das ist, als käme deine schnellste Freundin auf einmal mit einem Laura-Ashley-Kleid ins Café. Um dem Eindruck des Baumwollenen und Hausbackenen zu entgehen, ist das Heft über weite Strecken im konfessionellen Ton gehalten. Auf diese Weise kommt heimliches redaktionelles Unbehagen an dem ganzen Projekt in Artikeln wie „Unlikely Obsession“ zum Vorschein, in welchem Daphne Merkin uns flüstert, daß es sie danach verlangt, von einem Mann den Hintern versohlt zu bekommen. „Ich kann mich an keine Zeit erinnern, zu der ich nicht darüber fantasiert hätte, das flehende Objekt einer festen männlichen Hand zu werden ..., ein Szenario, bei dem meinem Hintern enorme Aufmerksamkeit zuteil wurde.“

Das Frauenheft ist ein Überraschungscoup der Chefredakteurin Tina Brown, die vorab bereits, zum Entsetzen der Konkurrenz, verkündet hatte, die Redaktion werde in diesem Fall von Roseanne Barr übernommen, der Vulga des Familienprogramms. „Als ihr Name mit unserem in Beziehung gebracht wurde, brach die Hölle los“, verkündet stolz Redakteur James Walcott in einem Text, der sich fast wie ein Nachruf liest. „Roseanne ist ein Pulverfaß des weiblichen Zorns, das die Form einer Fruchtbarkeitsgöttin hat.“ – Man kann ganz sicher sein, daß Roseanne hier nicht redigiert hat.

Warum also plötzlich ein Frauenheft? Während derzeit im taz- Fahrstuhl auf einem Zettel zu lesen ist, Frauen seien die Lösung, nicht das Problem, wird hier von den „Müttern“ bitter beklagt, daß die Töchter zwar als Befreite leben, sich aber nicht Feministinnen nennen wollen. „Die Rückschläge“, steht im Editorial, „die die Bewegung hinnehmen mußte, sind inzwischen journalistisches Material: die Feminisierung der Armut, der Zusammenbruch der Familie, die biologische Uhr (?), sexuelle Belästigung und häusliche Gewalt.“ Es sollte also niemanden überraschen, wenn dem Feminismus vorgeworfen werde, er sei immer elitär gewesen und seine Belange seien eben nicht die der Arbeiterinnen oder der jungen Frauen.

Nun, der New Yorker will sich in dieser Beziehung nicht den Schneid abkaufen lassen. Das Heft ist dezidiert high und low, mit einer eklatanten Verachtung des gesellschaftlichen Mittelfelds. Schwarze lesbische Mörderinnen schreiben in Straßenamerikanisch aus einem Gefängnis, Zimmermädchen aus Las Vegas sagen, auf welcher Seite sie stehen, Annie Leibovitz hat Porträts von übel zugerichteten Ehefrauen beigesteuert, und ein Artikel heißt tatsächlich „Teufelsweiber: Mit ein bißchen Phantasie kann man armen Frauen heutzutage alles anhängen.“ Währenddessen hat Lady Di einen guten Auftritt und Sandra Bernhardt erklärt, warum es hohe Absätze sein müssen („Aber ich rede hier nicht von irgend so einem kitschigen Mist, den du bei Frederick's of Hollywood kaufen kannst, sondern etwas von Manolo oder Prada Chanel Clergerie.“).

Aber es wäre nicht angelsächsischer Journalismus, wenn nicht auch ein paar echte Entdeckungen dabei wären. Henry Louis Gates, jr., ein Black-Studies-Professor aus Cambridge hat sich mit Hillary Clinton und ihrem Orbit beschäftigt, um herauszufinden, wie es zum Freizeitsport der Nation werden konnte, die First Lady zu hassen. Sie treffen sich im „Map Room“ des Weißen Hauses, dem Zimmer also, in dem F.D. Roosevelt den Frontverlauf des Zweiten Weltkriegs verfolgte und koordinierte. Solchermaßen eine ausreichend dramatische Note gesetzt habend, erforscht Gates mit dem Auge des Dekonstruktivisten, warum sich alle einig sind, die wahre Hillary nicht zu Gesicht bekommen zu haben. Er konstatiert mehrere interessante Volten in ihrer Karriere, von denen er eine das „Thankyougate“ und, nur eine unter vielen, „Whitewatergate“ nennt. Noch besteht der schwerste Vorwurf, so Gates, nicht darin, etwas Illegales getan, sondern es verschleiert zu haben. Eine Ursünde ist ihr bislang noch nicht nachgewiesen worden. „Thankyougate“ wiederum sei der Mangel an politischer Freundschaftskultur, das Versäumnis, die Sympathisanten nicht nachgiebig genug an sich gebunden zu haben, zu selten mit Washingtoner Schreibern zu dinieren, bei Treffen nicht herzlich genug gewesen zu sein. Gates spricht, Dickens paraphrasierend, aparterweise von „teleskopischer Philanthropie“, „wie Dickens' Mrs. Jellyby“, die ihre Wohltätigkeit bis Afrika, aber nicht bis zur eigenen Tochter reichen lassen wollte.

Mrs. Clintons Polit-GAU, die Gesundheitsreform, schreibt er nicht zuletzt der Tatsache zu, unverständige Menschen könnten es ihr verübeln, daß sie nicht in eine entsprechende Machtfülle hineingewählt worden, sondern wie eine Königin daran geraten sei, die eben das Glück hatte, mit dem König verheiratet zu sein. Jedenfalls, und da kann man Gates nur beipflichten, stört ihn, daß die Hillarylogie sich ständig damit beschäftigt, ob nun die berechnende Juristin oder die freundliche Kameradin Frau Clintons wahre Natur sei.

Es ist gerade dieser Jargon der Eigentlichkeit, der Frauenausgaben so problematisch macht. Mariam Niroumand