Die unvollendete Revolution

■ Zur Erinnerung an die Revolution von 1848 fordert die „Aktion 18. März“, ein Stück der Straße des 17. Juni umzutaufen und ein Denkmal zu errichten. Unterstützung aus allen Fraktionen und aus dem Bezirk

Berlin 1847. Preußen erlebt eine heftige Wirtschaftskrise, der Haushalt Berlins fällt in ein Finanzloch. „Die Börse ist in Schrecken und Noth, alle Geschäfte stocken, die hiesigen Bankantheile sind gesunken“, notiert der Berliner Chronist Karl August Varnhagen von Ense in seinem Tagebuch. Ein Viertel der Berliner Bevölkerung lebt im Elend. „In solch dürren Jahren zündet leicht jeder Funke der verheerende Flamme“, vermerkt ein Zeitgenosse Varnhagens, „und wenn endlich die leeren Magen und vollen Köpfe auf der einen Seite stehen, die vollen Magen und die leeren Köpfe auf der anderen Seite, wie könnte noch der Ausgang zweifelhaft sein?“

1848. In ganz Europa gärt es, in Wien stürzt Kanzler Metternich, in Frankreich die Monarchie. Am 7. März erhitzt sich die revolutionäre Stimmung in einer ersten Volksversammlung „In den Zelten“ im Tiergarten, der weitere folgen. Man verlangt nach „unbedingter Pressefreiheit“, „vollständiger Redefreiheit“, „gleicher politischer Berechtigung aller“ (mit Ausnahme der Frauen allerdings) und einer „allgemeinen deutschen Volksvertretung“ im preußischen Ständestaat. Nach einer weiteren Versammlung am 13. März gibt es die ersten Zusammenstöße zwischen Bevölkerung und Militär mit Toten und Verwundeten. Die Stimmung am 17. März ist explosiv. Die Volksversammlung beschließt eine Demonstration vor das Schloß, um König Friedrich Wilhelm IV. zum Rückzug seiner Repressionstruppen zu zwingen.

18. März 1848. Tausende von Menschen versammeln sich mittags auf dem Schloßplatz. Der König verkündet Vorschläge für die Umwandlung Deutschlands in einen Bundesstaat und für den Übergang der preußischen Monarchie in ein konstitutionelles System. Die Forderung nach Truppenrückzug erfüllt er nicht, der Jubel schlägt in Protest um. Das Militär räumt den Schloßplatz mit Gewalt. Unter dem Ruf „Der König hat uns verraten!“ flüchten die Menschen. Barrikaden werden gebaut, zuerst am Alex, dann in der ganzen Stadt. Den unbewaffneten Aufständischen stehen 14.000 Soldaten mit 36 Geschützen gegenüber, bei den Kämpfen sterben überall Menschen. Am 19. März gibt der König nach: Seine Truppen verlassen mit Tschingderassa die Stadt. Am 21. März weht auf dem Schloß die schwarzrotgoldene Fahne der Bürger, am 22. März begleiten 20.000 Menschen 183 „Märzgefallene“ bis zu ihren Gräbern im Volkspark Friedrichshain. Am Schloß steht der König – barhäuptig, um die Toten zu ehren.

Ende März 1848. Es herrscht politischer Frühling. Hunderte von Zeitungen und Zeitschriften werden gegründet, wie die Krokusse sprießen Clubs und Vereine aus dem Boden. Die Stadtverordneten beschließen, die Gefallenen mit einem Denkmal zu ehren.

10. November 1848: Nachdem die kaiserlichen Truppen das aufständische Wien zurückerobert haben, erhält auch die Berliner Revolution den Todesstoß. General Wrangels Truppen ziehen durchs Brandenburger Tor. Die erste halbwegs demokratisch gewählte Nationalversammlung wird aufgelöst und wenig später durch das alte Dreiklassensystem ersetzt, die Bürgerwehr entwaffnet, die Vereins- und Pressefreiheit drastisch eingeschränkt, der Belagerungszustand ausgerufen.

Berlin 1978. 130 Jahre nach der Revolution von 1848 gründen Ingeborg Drewitz, Heinrich Albertz und andere die „Aktion 18. März“. Statt des 17. Juni möchten sie den 18. März zum gesamtdeutschen Feiertag erklärt wissen.

3. Oktober 1990. Die bürgerliche Revolution in Deutschland findet ihren Abschluß. Das Schloß ist längst gesprengt, die Mauer ist weg, aus der schwarzrotgoldenen Fahne verschwinden Ähre und Zirkel. Der Feiertag am 17. Juni wird zugunsten des Vereinigungstages am 3. Oktober abgeschafft, die „Aktion 18. März“ orientiert sich neu.

März 1995. 148 Jahre nach der unvollendeten Berliner Revolution ist die Forderung der Stadtverordnetenversammlung nach einem Denkmal für die Märzgefallenen immer noch nicht verwirklicht. In einem Brief an die Berliner Abgeordneten schlägt die „Aktion 18. März“ vor, bis zum 150. Jahrestag der Revolution einen Wettbewerb für ein solches – möglichst unkonventionelles – Denkmal auszuschreiben und die Standorte der damaligen Barrikaden zu kennzeichnen. Harald Grieger (CDU), Eckhardt Barthel (SPD), Elke Herer (PDS) und Alice Ströber (Bündnisgrüne) signalisieren fraktionsübergreifende Zustimmung. Eine weitere Idee der „Aktion 18. März“, die Umbenennung eines Teilstücks der Straße des 17. Juni in Straße des 18. März, hat angesichts der Mehrheitsverhältnisse in der BVV Tiergarten ebenfalls gute Chancen. Bezirksbürgermeister Jörn Jensen (Bündnisgrüne) unterstützt die Umbenennung.

18. März 1996. Am Grabstein der Märzgefallenen wird auf Initiative der „Aktion 18. März“ auch heute eine Feierstunde abgehalten. Um 17 Uhr spricht dort der Friedrichshainer Bürgermeister Helios Mendiburu. Ute Scheub