Bargeld für Heine

Warencharakter romantischer Metaphern: Enervierende Musik soll einen Innovationsschub für eher traditionelle Stücke bringen. Das polyphone Projekt „Heinrich Heine: Von Tod an rückwärts liebeskrank“ in Düsseldorf  ■ Von Gerhard Preußer

Heines Lyrik ist schön. Zu schön, um wahr zu sein. Ihre Wahrheit ist nicht schön. Man muß ihre Schönheit aufbrechen, um an ihre Wahrheit zu gelangen. Risse statt Glätte, Monotonie statt Melodie, Geräusch statt Gesang: so wird Heines Verzweiflung und Außenseitertum erst deutlich.

Blixa Bargeld, F.M. Einheit von den Einstürzenden Neubauten und die Komponistin Ulrike Haage machen sich mit Heine in Düsseldorf an einem massiven Altbau zu schaffen. Aber auch hier ist es Abrißarbeit: herunter mit der romantischen Fassade. Vom katastrophalen Ende her wird Heines Leben und Werk erzählt: aus der „Matratzengruft“, in der der gelähmte Dichter seine letzten Jahre verbrachte.

Am Anfang ein Grab in den Lüften. Vom Schnürboden hängen Schauspieler mit Heine-Masken herab, in Matratzen eingeschnürt: sechs Heine-Hot-dogs, freischwebende Intellektuelle im zeitgenössischen Muff. Dann Krach und Donner, die Hüllen fallen. „Sie fürchten, redend käm' ich wieder aus dem Schattenreiche“, tönt es, und er ist wieder unter uns. Die Heine-Show beginnt. Der Conférencier rasselt und zappelt seine Ansage herunter. Es folgen, ganz brav, Bilder aus Heines Leben: die letzte Liebe, die Saint-Simonisten, das Hambacher Fest, Begegnung mit Goethe, und rückwärts immer weiter.

Heines Liebeslyrik, sonst Tummelplatz der Komponisten, kommt nur als Sprachcollage vor: drei Paare zitieren Bruchstücke aus den sattsam bekannten Texten. Der Warencharakter romantischer Metaphern wird demonstriert: Ironie durch Arrangement.

Ausführlicher werden Prosatexte inszeniert: Heines Bericht über die Borniertheit der deutschen Revolutionäre beim Hambacher Fest (aus seiner Börne- Denkschrift) wird als polyphone Satire für Sprechorchester vorgetragen, die hübsch melancholische Geschichte vom „Totenkind“ (aus den „Florentinischen Nächten“) wird als Schmierenthater mit Tanzeinlage choreographiert.

Eingebettet ist diese eher konventionell inszenierte Revue in eine permanente Geräuschkulisse, die sich gelegentlich zu von Ulrike Haage geschriebenen Songs verdichtet. Sie wagt sich ausgerechnet an den abgeschliffensten, von Tausenden von deutschen Männerchören in Grund und Boden gesungenen Text heran: die „Loreley“. Eingebettet in einen Zitatenpotpourri von Rhein-Hymnen Heines, folgend auf ein tonlos gekrächztes und verkichertes „Leise zieht durch mein Gemüt...“, wird diese „Loreley“ zum musikalischen Höhepunkt. Aggressiv steigert sich die Musik, aus monoton stammelndem Moll stürzt sich der Gesang mit einem diabolischen Tritonus ins verführische Dur. Eine „Loreley“, die man auch zwischen zerschlagenen Bierflaschen in der Fußgängerunterführung mitgrölen kann.

Am Ende fläzt sich F.M. Einheit in der Bühnenmitte auf dem Boden, spielt Monsieur Le Grand, den französischen Tambour, und will uns Heines These demonstrieren, daß man den Geist der Sprache am besten durch Trommeln lerne. Erst tippt er nur faul auf dem elektronischen Regler seiner Rhythmusmaschine herum, während der Heine-Darsteller (Thomas Loibl) dessen Jugenderinnerungen an die Besetzung Düsseldorfs durch Napoleon rezitiert, dann klöppelt er virtuos mit kurzen Holzschlägeln auf drei Klangkästen herum. Auch F.M. der Große kann Heines Sprache nicht ertrommeln. „Schlage die Trommel und küsse die Marketenderin“ – Heines sensualistisch-emanzipatorischer Appell steht am Ende der retrograden Lebensrevue von der Katastrophe zur Utopie.

Das Duo Bargeld und Einheit entwickelt sich, seit Peter Zadek einst die Einstürzenden Neubauten das Hamburger Schauspielhaus erschüttern ließ, zu einer vielbeschäftigten Theatermusikergruppe. In Düsseldorf wird deutlich, warum: die Theater versprechen sich von ihrer enervierenden Musik einen Innovationsschub für eher traditionelle Stücke. Das schwierige Düsseldorfer Lokal- und Traditionsthema Heine wird so künstlerisch aufgewertet. Was als musikalisches Kabinettstückchen im Kleinen Haus hätte gelingen können, wird aber mit überflüssigem Bühnenzauber zur Supershow im Großen Haus aufgeblasen.

„Na Gott sei Dank“, sagt da das Düsseldorfer Bürgertum, wenn's glücklich vorbei ist. Aber das dachte man in Düsseldorf schon immer über Heine.

„Heinrich Heine: Von Tod an rückwärts liebeskrank.“ Düsseldorfer Schauspielhaus (Großes Haus). Text: Blixa Bargeld. Musik: F.M. Einheit, Ulrike Haage. Regie: Wolfgang Seesemann