Ganz merkwürdige Hemmung

■ Verleger Siegfried Unseld über seinen (Nicht-)Autor Wolfgang Koeppen

taz: Wenn man so will, ist Wolfgang Koeppen als Nichtautor mindestens so bekannt geworden wie als Autor, oder?

Siegfried Unseld: Er hat diese drei Romane geschrieben, die ich wirklich für ganz bedeutende Standardwerke der deutschen Literatur halte. Er hatte damit sozusagen das Recht, nichts weiteres schreiben zu müssen. Er hat ja mit Ausnahme seiner Autobiographie „Jugend“ keine größeren Werke abgeschlossen. Aber Koeppen hat dauernd geschrieben. Eines Tages zeigte er mir einen sogenannten „Jawang-Romans“ und sagte: „Ich muß da nur noch 20 Seiten schreiben, dann ist es vollendet.“ Er hat diese 20 Seiten nie geschrieben. Es ist zu erwarten, daß in seinem Nachlaß Hunderte von Fragmenten zu finden sein werden. Er fing an, schrieb ein, zwei Seiten, und führte dann nicht weiter aus.

Waren Sie damals in den fünfziger Jahren begeistert, als Sie Koeppens ersten Roman „Tauben im Gras“ in Händen hatten? Wie hat man diesen rasanten Stil aufgenommen?

Ich will da keine Legende konstruieren. Mir hat das Buch gefallen, aber ich würde jetzt nicht sagen, daß ich damals den Eindruck hatte, daß das so wichtig und gravierend ist, wie mir das rückwirkend in meiner Beurteilung erscheint. Rückwirkend sehe ich, welche große Funktion diese Bücher in unserer deutschen Literatur haben. Damals war ich interessiert an zeitgenössischer deutscher Literatur. Ich habe alles gelesen, ob es sich nun um Günter Grass handelte, um Alfred Andersch oder um Siegfried Lenz, auch Autoren, die gar nicht im Suhrkamp- Verlag waren. Das war einfach ganz selbstverständlich, daß man das las.

Ich war ja nicht nur von Hesse begeistert, mein zweites großes literarisches Ereignis war Bertolt Brecht. Insofern war ich auf einen sozialkritischen und politologischen Einschlag durchaus vorbreitet. Ich muß sagen, ich habe diese Romane gern gelesen, und ich habe über die Jahrzehnte hinweg gern mit Koeppen immer wieder über seine Schreibarbeit gesprochen. Er hat mir viel erzählt. Ich habe ihm auch gedroht, wenn er den Roman, den er schreiben wollte, nicht schriebe, würde ich den schreiben, weil ich alles darüber wüßte.

Koeppen ist ja Ende der sechziger Jahre von Govertz zu Ihnen gewechselt. Wie ist denn dieser Wechsel zustandegekommen? Haben Sie Koeppen damals angesprochen, oder gab es da einen Wunsch von seiner Seite aus?

Govertz zog sich ja immer mehr aus dem Verlagsgeschäft zurück. Koeppen und ich sind uns einmal in München begegnet und mochten uns. Das war auch von keiner Seite her eine besondere Absicht, sondern es ergab sich so. Und dann allerdings, als wir da verschiedene Projekte hatten, auch Vorauszahlungen vereinbarten, und er dann diese Projekte nicht schrieb, da wurde diese Verbindung dringlicher. Ich war dann öfter bei ihm und habe ihn kennen- und schätzengelernt. Ich glaube, wir waren Freunde, was ja nicht so häufig ist in einer Beziehung zwischen Autor und Verleger.

Glaubten Sie Ende der sechziger Jahre, Koeppen werde Ihnen den großen Roman, den alle erwarteten, schreiben?

Jawohl, das habe ich geglaubt. Er konnte so wunderbar erzählen. Man war einfach im Bann, und das, was er erzählte, schien irgendwo schon fertig zu sein. Und dann hat er diese merkwürdige Hemmung gehabt, daß ihm das letztlich nicht genügte, was er geschrieben hat, daß es seinen Ansprüchen nicht standhielt. Er hat einmal aus diesem Roman „In Staub mit allen Feinden Brandenburgs“, den er schreiben wollte, während der Buchmesse bei einem Kritikerempfang in meinem Haus vorgelesen und über diesen Roman gesprochen. Da waren 200 Kritiker da, und nachher hat er erklärt, jetzt könne er diesen Roman nicht mehr schreiben.

Welchen Einfluß hatte denn Suhrkamp als Verlag auf den Autor Koeppen? Konnten Sie sein Schreiben in irgendeiner Hinsicht beeinflussen?

Ich wollte ihn sozusagen bei der Stange dieses großen Romans halten. Das war meine Vorstellung. Und da habe ich alles, was in meiner Macht und Möglichkeit stand, gemacht, um ihn dazu zu bewegen. Er war in Sanatorien, die ich ihm finanziert habe, um dort etwas schreiben zu können. Er war sehr häufig in Frankfurt, hat in Frankfurt in meinem Haus gewohnt, um schreiben zu können. Die schönste Geschichte ist, daß er eines Tages zu mir gesagt hat, jetzt wisse er genau, wie er diesen Roman schreiben könne: Er hätte ein Schiff entdeckt, das von Singapur nach Genua fahre, 21 Tage. Er würde jeden Tag fünf Seiten schreiben auf diesem Schiff, um dieses Projekt „Petra“ dann zu realisieren. Es begann damit, daß seine Schreibmaschine in einem zweiten Koffer war, den er nicht bekam, der im Schiffsbauch irgendwo versteckt war. Und es hat Tage gedauert, bis er überhaupt an seine Schreibmaschine kam. Und dann fing er an zu schreiben, und da haben sich die Leute rechts und links seiner Kajüte belästigt gefühlt. Auf einer Urlaubsreise wollten sie nicht das Tippen einer Schreibmaschine hören, und so hat er hier nur zu ganz wenigen Zeiten schreiben können, eigentlich gar nicht. Und das Essen war ihm contre c÷ur, und es gab nicht den richtigen Wein.

Was wird nach Koeppens Tod geschehen? Gibt es etwas im Nachlaß?

Koeppen hat einen Betreuer, einen Anwalt, der einen Experten beauftragt hat, seine Wohnung auf literarische Texte hin durchzusehen. Und das ist gemacht worden. Daher wissen wir, was noch da ist. Es ist eine Fülle von Manuskriptteilen, aber wahrscheinlich außer dem Roman „Die Jawang-Gesellschaft“ keine größeren, umfangreicheren Texte.

Es erscheint jetzt im neuen Programm ein Lesebuch zu Koeppen. Worin sehen Sie denn die besondere Bedeutung für ein jüngeres Publikum, sich mit Koeppen auseinanderzusetzen, der doch sehr der Wiederaufbaugeneration und der Wiederaufbauliteratur verhaftet ist?

Ja, aber er ist natürlich ein brillanter Schreiber. Diese einzelnen kleinen Erzählungen, „Das klassische Italien“ zum Beispiel, das ist eines der schönsten Prosastücke, die wir in deutscher Sprache haben. Einfach von der Brillanz, von der Schönheit, von der Eleganz seines Stils her. Von dorther wird ein Zugang bleiben. Noch etwas anderes kommt hinzu: Wir können aus seinen Büchern – und gerade die jüngere Generation, wenn sie das will – deutsche Geschichte studieren und lernen und dabeisein. Insofern glaube ich schon, daß dauernd ein Bedürfnis dasein wird, Koeppen zu lesen.

Das Interview führten Christoph Haas und Jochen Rack, zwei Tage vor dem Tod Wolfgang Koeppens am vergangenen Freitag.