Kaltes Grausen am Tatort Berlin

Ein kriminalistische Stadtrundfahrt zu den Orten schrecklicher Verbrechen, zu furchtbaren Strafanstalten und Galgenhügeln  ■ Auf Spurensuche ging Barbara Junge

Frühmorgens packte die Fahrgäste der U2 das kalte Grausen: Auf der kargen Holzbank im Bahnhof Klosterstraße saß eine mumifizierte Leiche. Etwas steif und unbeholfen, die Morgenzeitung in der Hand, den Arm leicht angewinkelt. Leichenduft wehte durch die unterirdische Halle.

Jetzt, fünfzehn Jahre später, klärt Peter Steinmann den morbiden Fall auf: Trunkenbolde entwendeten des Nachts den Toten aus der Gruft der Parochialkirche am Holzmarkt. Dort genießt der Tote aus der Klosterstraße inzwischen wieder seine letzte Ruhe. Nur noch der angewinkelte Arm schaut aus dem Sarg heraus.

Der historische Stadtführer Steinmann vom Verein Pluspunkt wußte auf seiner gestrigen Tatort- Rundfahrt durch Berlin allerhand Schauriges über gewiefte Gaunerstücke, Galgenhügel und Gefängnismauern, hinter denen Schuldige und Unschuldige verschwanden, zu erzählen.

„In der Mulackstraße 10,

ist ein großer Mord jeschehn,

hat 'ne Mutter da ihr Kind,

mit der Gabel umgebringt.“

Wie es das alte Bänkellied erzählt, befand sich die Wiege des Verbrechens im alten Scheunenviertel. Hier, wo Anfang des Jahrhunderts die höchste Bevölkerungsdichte den Nährboden für Armut und Gewalt bot, lag auch die Geburtsstunde der organisierten Kriminalität: Bei Schnaps und Bier trafen sich 1890 zwölf Männer, um den Verein ehemaliger Strafgefangener zu gründen. Was nach außen hin der körperlichen Ertüchtigung und der Bewahrung vor Rückfällen diente, war in Wahrheit, so Steinmann, die Keimzelle der kriminellen Bruderschaften. Das Fachgebiet des Vereins war ein sehr spezielles: er vermittelte Fachleute des Gewerbes und kümmerte sich um die Familien ertappter Gauner.

Wo bis Ende der vierziger Jahre die Gefangenen im modernsten Gefängnis Preußens die Isolationshaft kennenlernten, bröckeln heute zwischen den Gleisen des Lehrter Güterbahnhofs und der Laubenpiepersiedlung dunkelrote Ziegelsteine vor sich hin. Zu den prominentesten Insassen gehörten Ernst Busch, Klaus Bonhoeffer und Wolfgang Borchert.

In 500 Einzelzellen hatten die Gefangenen keinerlei Kontakt zueinander. Beim Hofgang mußten sie Masken tragen, damit sie sich nicht gegenseitig erkennen konnten. Nur auf dem dreieckigen Freigelände zwischen den Gebäudeflügeln durften sich die Insassen bewegen. Daher komme, so Tatort- Stadtführer Steinmann, der Ausdruck „im Dreieck springen“. Heute ist nicht mehr zu sehen, daß das Gefängnis sternförmig angelegt war. Im Zentrum des Komplexes befand sich eine Aussichtsplattform, von der aus ein Rundumblick möglich war. Nach dem gleichen Grundriß ist auch die Untersuchungshaftanstalt Moabit, ebenfalls auf der historischen Kriminalstrecke gelegen, entworfen.

Zu der Tatort-Reise ist eine ordentliche Portion Galgenhumor im Busnetz nicht schlecht. Wo heute eine Kirche Vergebung verspricht, richtete der Henker im letzten Jahrhundert noch mit dem Galgen. Genüßlich schilderte Steinmann die Prozedur der letzten Hinrichung, die auf dem Weddinger Gartenplatz stattfand.

Die nächsten Tatort-Touren finden am 31.März, 21.April, 26.Mai und 9.Juni, 14.00 Uhr, statt. Preis: 30 Mark. Tel.:774 40 81