Murks den Öko! Von Michaela Behrens

Samstagfrüh, neun Uhr. Mit angehaltenem Atem und dem Wunsch, Bares gegen Brot und Eier einzutauschen, betrete ich den leeren Ökoladen, wo der Öko in schweigender Gelassenheit hinter seinem Tresen daheim ist. Leise, um ihn nicht zu verschrecken, entbiete ich den Morgengruß. Der Öko mustert mich versonnen, versunken in die Betrachtung des Universums; vielleicht aber auch bei meinem Anblick plötzlich gequält von der Erinnerung an den Tag, an dem ich den Krankenwagen rief: Ich hatte ihn damals versehentlich für tot gehalten. Inzwischen habe ich gelernt, daß seine Bewegungen mit bloßem Auge kaum wahrnehmbar sind. Ruhig fülle ich die Eier in den mitgeführten Karton, sehe mich bereits am Frühstückstisch sitzen, Kaffee trinken ... da kommen sie. Ich gerate in Panik. Es sind Kunden, Ökoladenkunden; Menschen wie ich, und doch auch wieder anders. Menschen mit Geduld. Und mit Kindern.

Schon trottet eines dieser freilaufenden Bioprodukte auf mich zu, und bevor ich noch „Hau ab!“ sagen kann, sitzt es schon auf meinem Fuß und hat mein Bein im Schwitzkasten. „Ich heiße Paule“, spricht das Kind mit zarter Stimme, „und ich kann unter deinen Rock gucken. Du hast eine blaue Unterhose an.“ Ehe ich Paule vom Fuß schütteln kann, ist es passiert: Vor mir steht eine Schlange. Nach einer halben Stunde zähem Stop-and-Go jauchze ich leise, denn die Frau ganz vorne möchte nur zwei Flaschen Mineralwasser. Zu früh gejauchzt; den Preis zu berechnen braucht seine Zeit. Der Öko duldet keine Kasse wegen der Vibrations, und auf den Taschenrechnerknöpfchen rutschen seine Finger so leicht ab. Anerkennendes Gemurmel, als er nach fünf Minuten das Ergebnis verkündet: acht Mark vierzig. Die Kundin zahlt, ohne mit der Wimper zu zucken, und zieht von dannen. Tschau-ie! Tschauie.

Vor mir ist jetzt nur noch Paules Vater. Er will Gemüse, das er jedoch nicht schlicht den Kisten zu entnehmen vermag, sondern Stück für Stück unter Tasten und Beschnuppern sozusagen erntet. Gemüsezerdrücken findet Paule auch lustig, weshalb er meinen Fuß verläßt, um Vati zur Hand zu gehen. Nach einer halben Stunde schaffen sie gemeinsam ihre Beute zum Tresen, wo Paul, das Kind, spontan zu wissen verlangt, wann denn das ganze Scheißgemüse gewogen wird, das macht die Mami immer so. Beifälliges Gelächter. Ich nage an den Fingernägeln. „Zwei Tomaten, macht fünfunddreißichachzich, vier Möhren, macht dann neunundsechzichfuffzich, wa.“ „Neunundsechzigfünfzig?!?!“ Das samstägliche Grinsegesicht von Paules Vater fällt zusammen. „Ja, nee, du, da mußte mal kieken, wa, wat die da für ne Arbeet mit ham, wa ej, dit is schon richtich.“ „Nee, klar.“ Vati zückt ein bißchen verbittert das Stoffbeutelchen, in dem er sein Studienratsalär aufbewahrt, und Paule, der sich noch immer mit den Ärmchen auf die Waage stützt, lacht fröhlich. Auch ich lache, doch aus der Schlange tritt jemand vor und petzt, und deswegen muß der Öko alles noch mal wiegen, sorry, du. Er macht sich ans Werk. Langsam, besonnen, eins mit sich, Karma, Kohle und Kundschaft. Wimmernd schlage ich mir eine Schneise durch die wartenden Massen und entweiche. „Wünsch ick dir ooch“, trötet der Öko hinter mir her, „tschauie, schön' Tach noch.“