„... denn dies ist heiliger Boden“

■ Gedenktafel für den überbauten jüdischen Friedhof im Mercado enthüllt Von Julia Kossmann

Das Licht in der glitzernden Warenverkaufswelt scheint leicht gedämpft, ein schwarzer Samtvorhang verhüllt die zehn Meter lange Gedenktafel aus Glasplatten, vor der ein Klaviertrio angemessene feierliche Musik intoniert. Ein ganz normaler Arbeitstag war zuende, als sich am Dienstag abend über hundert Menschen – aus der jüdischen Gemeinde und aus der Politik, Pressevertreter und Interessierte, Investoren und heute im Einkaufszentrum Beschäftigte – im Mercado am Bahnhof Altona einfanden, um der Enthüllung der Gedenktafel für den jüdischen Friedhof in Ottensen beizuwohnen. Spürbar ist ein Bemühen, den auf Nazi-Verbrechen fußenden Konflikt der vergangenen Jahre zu begraben.

In diesen Tagen soll vor der Gedenkstätte des KZ Auschwitz ein Supermarkt errichtet werden, in Ottensen wurde ein Einkaufszentrum auf den Resten eines einst von den Nazis zerstörten jüdischen Friedhofs gebaut. An diesen erinnert nun die Gedenktafel: „Tritt nicht näher, denn die Stelle, auf der du stehst, ist heiliger Boden“, wird darauf aus dem Exodus zitiert. Daneben beschreibt ein ausführlicher Text die Geschichte des Ortes, 1300 Namen von einst hier Begrabenen finden sich auf den Platten, 3500 sollen es einmal werden, wenn die hebräischen Namen auf den umgebetteten Grabsteinen ins deutsche transkribiert sind.

Um Worte ringt der erste Redner des Abends, Albert Büll von der Mercado-Investorengruppe Büll  &  Liedtke, zur „Eröffnung, äh, Enthüllung“ des Memorials. Von „städtebaulichen Auseinandersetzungen in einem politisch heiklen Stadtteil“, die man erwartet habe, spricht er, und darüber, wie die Investoren das „blanke Entsetzen“ gepackt habe, als sie sich mit einer „weltanschaulichen“ Auseinandersetzung mit „weltweitem Medienecho“ konfrontiert sahen. Kaum hat er die „Festigung der Toleranzbereitschaft“ gewürdigt, ist seine atemlose Rede beendet. „Nicht einmal kam das Wort Nationalsozialismus oder Jude vor“, bemerkt ein Zuschauer leise.

Stadtentwicklungssenator Thomas Mirow (SPD), als Leiter der Senatskanzlei federführend in den Verhandlungen zwischen Investoren und jüdischen Organisationen, findet sich auf dem Terrain verdrängter Vergangenheit besser zurecht, findet Worte für lebendige Erinnerung, bekennt, daß die „Vergangenheit nicht tot ist“. Während er redet, verteilt ein junger Mann unauffällig Briefumschläge.

Ein Foto eines orthodoxen jüdischen Demonstranten, den Hamburger Polizisten im Clinch haben, befindet sich darin, und unter der Überschrift „die sogenannte Einigung“ eine Passage aus dem Gutachten des Jerusalemer Oberrabiners Itzhak Kolitz, der die Baumaßnahmen aus halachischer Sicht beobachtete und festgelegt hatte, wie die Erdarbeiten auszuführen waren: „Jedes Gebäude über diesem Friedhof wird ein Schandmal für die deutsche Regierung sein. Es wird auch ein Schandmal für die Stadtregierung sein. Sie war immerhin bereit zuzuhören. Aber beide Verwaltungen, Deutschlands und der Stadt, wiesen jegliche Verantwortung zurück und schoben sie sich gegenseitig zu.“

Sich der Vergangenheit nicht zu stellen, führte Mirow von dem Briefeverteiler ungestört weiter aus, könne krank machen, einen Menschen, aber auch eine Gemeinschaft: „Wir wollen uns erinnern. Jeder einzelne hier verzeichnete Name fordert es von uns.“ Er hoffe, daß nun ein „tragbares und erträgliches Ergebnis“ erzielt worden sei.

„Geschändet, verkauft, verwendet“, auf diese Formel brachte Rabbiner Zev Walter Gotthold, der vor den Nazis aus Hamburg fliehen konnte, die jüngste Geschichte des Friedhofs. Schmerzhaft sei die Erinnerung, doch nun sei die unterbrochene Totenruhe gesichert und das hoffentlich für immer. Gottholds Sohn sang zum Abschluß hebräische Trauerlieder, endend mit dem auch Christen bekannten „Amen“.

Die Gedenktafel ist im Mercado markant an einem Ort alltäglichen Lebens installiert, anders als die kaum auffindbare für den alten jüdischen Friedhof am Grindel. Von dem Neustädter Judenfriedhof, der unter dem Hochhaus des Deutschen Rings an der Ostweststraße einbetoniert liegt, zeugt kein noch so kleiner Hinweis.