„Die Frau wollte das Kind haben“

■ Bremer Landgericht verurteilte angeklagte Malaiin zu zehn Jahren Haft wegen Mordes

„Zehn Jahre sind schuldangemessen und erforderlich“, resümierte die Vorsitzende Richterin Hilka Robrecht. Die Strafkammer des Bremer Landgerichts hat gestern die Malaiin Munah W. für schuldig befunden, die 30jährige Martina M. ermordet zu haben, um eine andere Straftat zu ermöglichen, nämlich Kindesentführung. Munah W. war vorgeworfen worden, sie habe die eigene Bekannte erdrosselt, um das fünf Wochen alte Baby der Ermordeten anschließend als ihr eigenes auszugeben. Dem gab das Gericht statt, entlastete die Malaiin jedoch von der Anklage des Staatsanwaltes auf Heimtücke.

„Anders als der Staatsanwalt sind wir der Auffassung, daß die Angeklagte die Tat nicht im voraus geplant hat“, betonte die Richterin. Man folge damit den Erkenntnissen der psychologischen Gutachterin, die der Malaiin eine vorausschauende Planung abgesprochen habe. Die Mutter sei mit dem Baby zu Besuch gekommen, Alkohol sei getrunken worden, es habe ein Streitgespräch zwischen beiden gegeben. Die junge Mutter habe Munah W. dabei eröffnet, sie möge das Baby lieber als ihr älteres Kind. „Wir folgen der Sachverständigen auch in der Ansicht, daß die Mutter-Kind-Beziehung ein Reizthema für die Angeklagte war, und meinen, daß sie sich entschloß, Martina M. das Kind wegzunehmen.“

Hinzu käme als Mitmotiv Munah W.s Absicht, dem Freund dann zu erzählen, das Baby sei ihr eigenes Neugeborenes. „Darüber muß sie schon vorher nachgedacht haben, da sie dem Freund ja eine Schwangerschaft vorgetäuscht hat“, so Richterin Robrecht. Damit ist die Verteidigerin mit ihrem Antrag, nur auf Totschlag zu erkennen, nicht durchgekommen. Denn Munah W. wurde keine Affekthandlung zugestanden.

Jedoch räumte ihr die Richterin erheblich verminderte Schuldfähigkeit ein. Die Malaiin sei in ihrer Persönlichkeit schwer gestört, habe Gewalterfahrungen gemacht und die Entfremdung von den eigenen Kindern erleben müssen. Daß sie 20 Jahre in einem fremden Land gelebt habe, daß ihre Beziehungen mit europäischen Männern unerfüllt geblieben seien, daß ihr nach der Haftentlassung die Abschiebung in eine ihr inzwischen auch fremde „Heimat“ bevorstehe – all dies habe man beim Strafmaß berücksichtigt.

Allerdings hielt das Gericht der Angeklagten auch vor, sie habe wenig zur Entschlüsselung des mysteriösen Falles beigetragen. Munah W.s erste Aussage vor dem Landgericht war sehr verwirrend gewesen, es war wohl einiges auch in den Übersetzungsproblemen aus dem Malaiischen untergegangen. Bis heute ist unklar, ob Munah W. bereits bei ihrer ersten Vernehmung durch die Kriminalbeamten im Juli '95 mißverstanden wurde. Damals hatte sie die Tat gestanden, war später jedoch davon abgerückt und hatte zuletzt auch ihren Freund mitbeschuldigt.

Diesem jedoch hat das Gericht ziemlich vorbehaltlos Glauben geschenkt. Er hatte ruhig und gefaßt ausgesagt. „Es gibt keine Beweise dafür, daß sich Herr L. auf irgendeine Weise an der Tat beteiligt hat“, unterstrich Richterin Robrecht. Man hatte es auch lange nicht für nötig gehalten, das Alibi von L. zu überprüfen. „Er hat einen glaubwürdigen Eindruck hinterlassen“, so die Begründung.

Ein einseitiges Ermittlungsverfahren hatte die Verteidigerin von Munah W. von Beginn des Verfahrens an kritisiert. Sie sah ihre Mandantin einem unüberwindbaren Vorurteil männlicher Staatsbeamter ausgeliefert, sprach von den „Phantasien des weißen Mannes“. – „Tötende Frauen werden schneller als Mörderinnen verurteilt, Männer dagegen bekommen häufiger Affekthandlungen zugebilligt“, hatte sie in ihrem Plädoyer gesagt und an die vier Jahre und neun Monate Haft des Afghanen Mohammed Ataie erinnert, der seine Frau in Bremen erstochen hatte. „Das Urteil ist gerecht, aber die Strafe zu niedrig“, meinte einer der angesprochenen Kriminalbeamten, der als Zuhörer im Gerichtssaal saß.

Wegen der im Verhandlungsverlauf hochgekochten Emotionen hatte die Richterin gestern gar verschärfte Sicherheitskontrollen angeordnet. Nach dem Urteilsspruch kam es dann auch zu einer Überreaktion der Sicherheitsbeamten: Eine Zuhörerin wurde handgreiflich aus dem Gerichtssaal katapultiert, weil sie nicht schnell genug hinausgegangen war.

Ob die Verteidigerin eine Revision des Urteils beantragen wird, blieb gestern noch offen. sip